- wenn einem auf der Zunge ein Blatterl auffährt

BUCHBESPRECHUNG / BODO HELL / AUFFAHRT

11/12/19 Peris von Llanberis, ein Sohn des Prinzen Helig ap Glanaw, war ein Mönch und Einsiedler in Wales. Er ist im 6. Jahrhundert am Brunnen gesessen und hat Fische gefüttert. María del Pilar Villalonga Villalba wurde am 11. Dezember 1936 in Spanien erschossen: Zwei Heilige, die heute Mittwoch (11.12.) im Heiligenlexikon stehen und rein zufällig NICHT auch im jüngsten Buch von Bodo Hell, der den Großen Kunstpreis des Landes Salzburg erhalten hat.

Von Heidemarie Klabacher

er: das Glühwürmchenweibchen soll mit falschen Signalcodes spielen (wie Biologen festgestellt haben), es täuscht dabei Lust auf Kopulation vor, um das auf solche Weise animierte Männchen dann ungeniert verspeisen zu können ...

sie: (hörbar protoromanisch assoziierend): dann strecke ich Dir also zum Gruß und vorläufigen Abschied (es bleibt uns ja gar nichts anderes übrig, als an dieser nordostseitigen KirchenAußenwand ein für alle mal beieinander getrennt figurenhaft auszuharren, während von oben der doppelt gerollte Dämon herabblickt), dann strecke ich Dir also in einem fort dieses halbhohe Bäumchen entgegen, ohne es von der Apsiswand (aus der es hervorzusprieße scheint) wegzureißen
Der luxuria/Wollust Dialog in Bodo Hells Büchlein Auffahrt, ist – es sei zugegeben – sofort wegen seines Untertitels ins Auge gefallen: (Botticelli/Schöngrabern). Und nein, nicht wegen Botticelli. Die romanische Apsis der Kirche von Schöngrabern, die „Steinerne Bibel“ mit ihren überwältigenden und europaweit einzigartitgn Außenreliefs, kommt nämlich in einem echt coolen Rätsel-Ralley-Krimi vor, in dem auch der Teufel mitspielen darf. er und sie bei Bodo Hell dialogisieren freilich nicht teuflisch, sondern, geradezu hoheliedisch. Freilich mit mehr Ausdruck von voluptas, als das Alte Testament zulassen konnte. Auch online zitieren darf man, außer den kleinstmöglichen Ruckungen und Zuckungen des Beckens nicht allzuviel, sonst laufen wieder alle Spamfilter amok.

Werfen wir lieber einen Blick auf das anschließende Kapitel mit Maria durchs Jahr: Von Jänner bis Dezember listet Bodo Hell 25 Marienfeste auf. Das Hochfest vom 15. August kennen wir in Salzburg besonders gut: Da dirigiert Riccardo Muti immer bei den Festspielen und auch sonst ist ganz Italien in der Getreidegasse. Dass ein Bodo Hell akribisch genau die Lauretanische Litanei (Mozart hat diese auch vertont) erklären muss, hat sich die katholische Kirche selbst zuzuschreiben, die den Gehalt ihrer geistigen Schätze längst nicht mehr so anschaulich zu vermitteln weiß, wie etwa einst die Baumeister und Skulpteure von Schöngrabern.

Wieder umblättern. Nikolaus lassen wir jetzt aus, obwohl gerade von ihm Bodo Hell zu einem beinah James Joyce'schen inneren Gedankenstrom animiert wird. Muss nicht erwähnt werden, dass dieser stream of consciousness fernab fließt von allem, was an Banalitäten rund um Nikolaus und Krampuslauf von eifrigen Touristikern vermarktet und verramscht wird, und dass Bodo Hell viel lieber im 6/8 Ryhthmus der Ischler vorgeht.

Gesagt werden muss schon, dass mit Bodo Hells Erfüssen und Flüssen an Ideen und Assoziationen wohl nur der oder die was anfangen kann, der oder die selber über ziemlich viel Kraut und Rüben-Wissen verfügt und einen Fundus einschlägiger Kindheisterinnerungen katholisch-brauchtümiger Natur mitbringen sollte, um diese fulminanten Miniaturen so recht genießen zu können. Aber auch ein Buddhist sollte erkennen, dass hier von einem Virtuosen und Kenner mit dem unverlierbaren Kern-Material einer völlig sinnlos dem Zeitgeist geopferten „Tradition“ gespielt wird. Thekla erinnern wir von der Biene Maja. Thekla war die Spinne mit der Geige. Wer noch mehr wissen will, lese Bodo Hells Aus- oder Einlassung (in einem Satz) - so der Untertitel, der aber rein inhaltlich quantitativ nicht stimmt. Vielleicht sollte die Bauernregel für 23. September, die Bodo Hell zitiert, auch online tradiert werden: Für Thekla es passieren kann – man zieht schon warme Sachen an.

Des unvergesslichen Eselreiters Valentin Pfeiffenberger gedenkt Bodo Hell mit 48 Anrufungen in Materialien zu einer Lebenslitanei: Andere würden da eine lächerliche fromme „Hagiographie“ schreiben. Bodo Hell setzt Schnippsel an Schnippsel – und noch nie war der Große Fromme mit dem langen Bart auch einer Nicht-Lungauerin so nahe.

Und weil man ja doch nicht das ganze Buch in einer Rezension abschreiben kann (weil wer kauft dann das Buch), ein wenig schlichter Volksglaube zum Schluss: - was soll mit ausgerissenen oder ausgekämmten Haaren geschehen? (man verheizt sie: ja nicht  hinauswerfen in den Wind, sonst Kopfweh)

Bodo Hell: Auffahrt. Essay 71.Literaturverlag Droschl, Graz 2019. 165 Seiten, 18 Euro - www.droschl.com
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