Ich bin immer gegen die Atomkraft gewesen

BUCHBESPRECHUNG / WISSER / LÖWEN IN DER EINÖDE

12/05/17 Eine IT-Abteilung, die immer noch EDV heißt und heimlich MDV, manuelle Datenverarbeitung, genannt wird. Ein Kosmonaut und ein vergessener Häftling, die beide zu Kinderhelden werden. Eine unglückliche Liebe – oder zwei oder drei: In „Löwen in der Einöde“ nimmt Daniel Wisser seine Leser mit in ein Leben in der Trostlosigkeit.

Von Christina König

Michael Braun hat einen sehr gewöhnlichen Namen. In seinem Heimatsort teilt er ihn mit ungefähr zwanzig anderen Michael Brauns. Er hat auch ein sehr gewöhnliches Leben. Seitdem ihm seine Mutter als Kind gesagt hat, er müsse nichts tun, um eine Frau zu finden, das passiere alles von ganz allein, nimmt er in jeder Lebenslage den Weg des geringsten Widerstands. Sein Kunststudium hat er abgebrochen, da er mit etwas Vitamin B ins Meldeamt seiner Stadt gerutscht ist, am liebsten äußert er Meinungen von anderen und seit seiner Kindheit spielt er gerne Mihavecz, den Mauerlehrling, der achtzehn Tage lang ohne Flüssigkeit und Nahrung ausharren konnte. Selbst als seine Frau Silvia sich von ihm scheiden lassen möchte, kümmert er sich nicht um sein Eheproblem, sondern um seine Pappelfeige, die, wäre sie nicht so pflegeleicht, schon längst gestorben wäre. Leidenschaft hat er nur für seine verheiratete Lateinnachhilfelehrerin Alies Schupp empfunden – und die ist irgendwann spurlos verschwunden.

Rund um Michaels Geschichte spannen sich auch die Geschichten von anderen Menschen, die mit seinem Leben verbunden sind: Evelyn, die nach einer Silvesterparty bei Tamara übernachtet und die halb leeren Bierflaschen austrinkt, bevor sie sie wegwirft; Zora, deren Tochter Anja pragmatischer ist als alle Erwachsenen und ihren Vater nur den KV, den Kindsvater, nennt; oder Gudrun, die ursprünglich Indologie studiert hat und dann doch Steuerberaterin geworden ist. Die Verstrickungen der Charaktere ist teilweise kurios: So hat Michael Brauns Frau eine Affäre mit einem anderen Michael Braun und seine Mutter Hilde hat eine Beziehung zu Dr. Schupp, in dessen Frau Alies wiederum ihr Sohn verliebt war.

Gemeinsam haben sie vor allem eins: Glücklich und erfüllt ist keiner.

In Wissers Roman scheint es hauptsächlich darum zu gehen, was nicht gesagt wird. Die Kapitel sind kurz, die Sätze schlicht gebaut, die erzählten Gegebenheiten oft banal. Und doch stecken zwischen den Zeilen die Tragik und die Einsamkeit von Personen, denen es nicht gelungen ist, zu irgendjemandem bedeutsame Beziehungen aufzubauen, weder zu Familie noch zu Partnern.

Der Umschlag des Romans zeigt einen Kosmonauten im Raumanzug, der allein in einem sonst leeren Raum steht, und damit wird perfekt der Gefühlszustand der Figuren dargestellt: isoliert, schwerfällig, ohne Möglichkeit, mit der Außenwelt wirklich in Kontakt zu treten. Diese Einsamkeit drückt Wisser geschickt durch Gespräche aus, die manche der Charaktere mit Personen führen, die körperlich abwesend oder gar tot sind: Michael diskutiert in Gedanken mit dem Renaissance-Maler Tintoretto, über den er seine nie fertiggestellte Abschlussarbeit geschrieben hat. Evelyn spricht seit 1989 täglich mit ihrem Kindheitsfreund Alfredo, der in diesem Jahr verstorben ist: „Denn jemand, mit dem man nicht täglich spricht, vergisst man. Man vergisst ihn, obwohl er neben einem lebt und vielleicht Hilfe braucht.“ Aber Wisser zeigt sehr deutlich, wer hier tatsächlich Hilfe braucht.

Ganz am Ende wagt Michael doch einen Ausbruchsversuch und er macht sich auf, das Rätsel um Alies‘ Verschwinden zu lösen, das ihn all die Jahre lang nicht losgelassen hat. Aber letzten Endes ist er wie die Taube, die im Schlusskapitel alle beobachten, die Taube, die sich in einem Draht verfangen hat: Als sie befreit und mit großer Geste in die Luft geworfen wird, fällt sie einfach nur zu Boden – und bleibt reglos liegen.

Daniel Wisser: Löwen in der Einöde. Roman. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2017. 128 Seiten, 17 Euro - jungundjung.at
Daniel Wisser präsentiert „auf seine gewohnt unterhaltsame Performance-Art“ seinen neuen Roman „Löwen in der Einöde“ am Donnerstag (18.5.) um 19 Uhr in der Alten Schmiede in Wien