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Blowin In The Wind

PAUL HOFHAIMER TAGE / ERÖFFNUNGSREDE

27/05/16 Der Ö1-Musikredakteur Albert Hosp hielt am Donnerstag (26.5.) in Radstadt die Eröffnungsrede bei den 30. Paul Hofhaimer Tagen in Radstadt. Pointierte Gedanken darüber, dass Musik jemanden braucht, der ihren Atem verlängert, sie mit frischer Luft versorgt. Wer ihr Zeitlosigkeit zugesteht, hält sie „forever young“. – Die Rede im Wortlaut.

Von Albert Hosp

Kapitel 1: Der Kalkant

Ich weiß nicht, ob es für die Teilnehmenden der Paul Hofhaimer-Tage Pflicht ist, über das Leben des Paul Hofhaimer Bescheid zu wissen, ob also, wer hierher eingeladen werden will, eine Art Hofhaimer-Test zu bestehen hat.

Jedenfalls sind mir 2 Dinge aufgefallen: Paul Hofhaimer wurde sehr alt. Und er konnte seinen Beruf nicht allein ausüben. Ich meine damit nicht die Unterstützung des Hochadels, ohne die ihm das Leben von seiner Musik niemals möglich gewesen wäre. Ich meine einen Partner.

Auf einem Holzschnitt, angefertigt etwa 1518, sehen wir „Kaiser Maximilian, die Messe hörend, in Augsburg.“ Im Vordergrund links sehen wir eine kleine Orgel; an den Tasten ein hagerer Mann. Durchaus teuer gekleidet – offensichtlich recht wohlhabend. Ein anderes Bild, etwa zur gleichen Zeit, zeigt ebenfalls eine kleine Orgel, diesmal auf einem eigenen Wagen im Triumphzug von Maximilian. Und wieder sitzt der hagere Mann an den Tasten.

Paul Hofhaimer, war ein Angestellter des Kaisers. Wir wollen aber das Augenmerk auf einen in der Hierarchie viel tiefer stehenden Mann lenken, der ebenfalls auf beiden Abbildungen zu sehen ist, gleich neben oder gegenüber Paul Hofhaimer. Es ist der Mann, der den Blasbalg der Orgel bedient.

Es ist der Kalkant. Ohne den Kalkanten hat diese Orgel keine Luft.

Wer sind die Kalkanten und Kalkantinnen von heute? Wer verlängert der Musik ihren Atem? Sie – . Sie, das Publikum, und Sie, die Veranstalter.

Kapitel 2: Ausdauertraining statt Schönheits-OP

Klassische Musik ist alles, nur nicht ein kommerzielles Produkt. Natürlich wollen alle, die Musik machen, damit Erfolg haben. Aber die bewusste Veränderung von Musik zugunsten des Erfolges hat ihren Preis.

Was ist zeitgemäße Musik, was ist zeitgemäßes Musizieren? Seit Jahrzehnten versuchen Veranstalter und Ausführende, alternative Wege zum Musikgenuss zu finden; Alternativen zum etablierten Konzertwesen anzubieten. Das Kammermusikfest im burgenländischen Lockenhaus bot bereits vor 35 Jahren die Möglichkeit, klassische Musik auf höchstem Niveau, aber ohne Frack und traurige Gesichter aufzuführen. Vor mehr als fünf Jahrzehnten – 1962 – präsentierte sich zum ersten Mal ein Ensemble namens Concentus Musicus im Musikleben. Bis zum Ende seines langen Lebens wurden Nikolaus Harnoncourts Interpretationen als „ungewöhnlich“, wenn nicht sogar als „neu“, bezeichnet und wohl empfunden.

Wenn es eine gemeinsame Botschaft gibt, die noch viele andere, wie auch dieses Festival hier, überbringen, dann ist es diese:

Die Musik selbst muss nicht verändert werden. Zwar sollen wir immer wieder die Strukturen der Klassik-Szene, egal ob Tonträger oder Konzert, überdenken. Aber wir müssen der Musik ihr Podium bieten, ohne sie anzutasten.

Die Verführungskraft kurzlebiger Strategien hat langfristigen Schaden angerichtet. Wir spüren diesen Schaden vielleicht erst dann, wenn wir z.B. an die Johann-Strauß-Aufnahmen großartiger Dirigenten nicht mehr herankommen, weil sie sich nicht so gut verkauft haben wie die Johann-Strauß-Aufnahmen von dauerhaft lächelnden Pseudo-Orchesterleitern. Die Musik von Johann Strauß, ebenso wie die von tausend anderen – vor oder nach Strauß – hat das nicht verdient. Sie braucht kein Face–Lifting – eher schon ein konsequentes Ausdauer-Training.

Die Versuchung ist groß. Musik so zu beeinflussen, dass sie Erfolg garantiert. Ein rechter Kalkant beeinflusst die Musik nicht. Er kümmert sich um nichts anderes als um die Versorgung mit frischer Luft.

Kapitel 3:Mein Vater und Miles Davis, oder: Alter ist nicht gleich Musikinteresse.

Eines Tages entdeckte ich, dass mein Vater und Miles Davis gleich alt waren: Am 5.7.1985 besuchte ich ein Konzert des berühmten Jazz-Musikers. Er war wenige Wochen zuvor 59 Jahre alt geworden. Vier Tage nach jenem Konzert feierte auch mein Vater den 59.Geburtstag. Mein Vater, der im HJ-Orchester Geige spielen musste, der im März 1945 aus der Schule genommen wurde, um in den längst verlorenen Krieg zu ziehen. Er hatte Glück, geriet kurz in englische Kriegsgefangenschaft, und war bald wieder zu Hause.

Nicht lange danach, es muss ums Jahr 1946 gewesen sein, ging er über die Maria-Theresienstraße in Innsbruck. Weil er Nichtraucher war, hatte er vom illegalen Verkauf der Rauchermarken ein wenig Geld übrig. In einem unversehrten Haus befand sich ein Schallplattengeschäft. Dort konnte man nicht nur Platten kaufen, sondern auch aufnehmen. Mein Vater entschloss sich, eine Aufnahme zu machen, und sang einen Jodler in den bereitstehenden Trichter.

Ich habe die Aufnahme nie gehört. Doch die Vorstellung jener kleinen Begebenheit in Innsbruck führt mir vor Augen, was mein Vater alles erlebt hat: Die Zeit der Schellack-Platten ebenso wie die Möglichkeit, dass ich ihm auf meinem Handy aus dem Internet seine Lieblings-Oper von Mozart vorstreamen konnte.

Mein Vater starb 2013, 21 Jahre nach Miles Davis. Er hörte nur Klassik.

Miles Davis, der parallel zu der Biografie meines Vaters den Jazz maßgeblich weiterentwickelte, der einer der größten Musiker des 20.Jahrhunderts war, blieb ihm ein Name von vielen. Nicht aus Desinteresse – es fehlte ihm die Zeit dafür. Auch beim 100. Anhören desselben Streichquartettes, der selben Symphonie, der selben Messe, entdeckte er noch Neues und freute sich am Alten.

Kapitel 4: Fußnoten – Erfreuliches und Seltsames

Das Festivalthema der Paul-Hofhaimer-Tage 2016 lautet „Junge Musiker & Alte Freunde“. Diese machen miteinander Musik. Ihre Geburtsdaten reichen von den 1950er bis in die 2000er Jahre. Auch das Alter der Komponisten erstreckt sich von den 1670ern bis in die 1970er Jahre.

2017 feiert der Radiosender Ö1 seinen 50.Geburtstag. Damit ist der Sender nur wenige Jahre jünger als das Durchschnittsalter seiner Hörerschaft. Bei der aktuellen Auswertung der Reichweiten meines Radioprogrammes Ö1 lernte ich: Wir müssen uns um Hörernachwuchs kümmern, das sind die 30-, 40jährigen. Und wir sollen den 60-, 70-, 80jährigen einiges zutrauen.

Paul Hofhaimer wurde sehr alt. Er wurde - für damals, die Zeit um 1500 - geradezu uralt – 78! Die ungefähre Lebenserwartung damals lag bei etwa 30 Jahren. Bob Dylan wurde vorgestern 75 Jahre alt. Ich bin ein Jahr jünger als „Blowin In The Wind“.

Musik ist zeitlos. Wenn wir ihr diese Eigenschaft zu gestehen, dann bleibt sie – um Bob Dylan zu zitieren – forever young.

Bild: Das Zentrum / Michi Habersatter

 

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