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Sprache braucht kein Bildsignal

RAURISER LITERATURTAGE

11/04/10 Tag 3 des literarischen Gipfelspektakels: Da musste man sich entscheiden, welchem der Autoren, die in Rauris und umliegenden Ortschaften auf Bauernhöfen oder in Pensionen aus ihren Werken lasen, man nachwandern sollte. Die abendlichen Lesungen ehemaliger Rauris-Preisträger und anderer Größen sollten für diese „Unannehmlichkeit“ jedoch vollauf entschädigen.

Von Alexander Macho

Als Martin Fritz Freitag Nachmittag (9.4.) den Frühstücksraum der Pension Bergkristall betrat, blieb das in der trauten Kaffeekränzchenstimmung, die sich dort breitgemacht hatte, zunächst beinahe unbemerkt. Für den Nachwuchsautor und diesjährigen Förderungspreisträger der Rauriser Literaturtage stellte dies jedoch überhaupt kein Problem dar. Geduldig wartete er ab bis sich die Aufmerksamkeit auf ihn richtete.

Denn so ist Martin Fritz: unprätentiös und geradeheraus, ganz wie seine Texte. Entsprechend gestaltete er seine Lesung. Anstatt einfach vorzulesen und Fragen zu beantworten, bezog er seine Zuhörer aktiv ein, indem er das Vorlesen seiner „Lyrikversuche“ mit einer Partie lyrischem Bingo verband. Bei dieser Version des Spiels – die übrigens nicht er erfunden hat, wie er mehrmals festhielt – bekommt der Zuhörer Bilder, die von lateinischen Zitaten über mittelalterliche Weltmodelle bis hin zu Nilpferden in Ententeichen reichen können. Hat er das Gefühl, eines dieser Bilder in den vorgelesenen Texten wiederzuerkennen, hakt er es ab. Der Kreativität sind hier keine anderen Grenzen gesetzt als jene der eigenen Fantasie, denn der Autor verlangt von Bingo-Rufern, dass sie ihre Assoziationen erklären. Theoretisch entsteht dabei ein wunderbarer, assoziativer Dialog über den Inhalt der Gedichte. Die Rasanz, in der Fritz seine nicht minder rasanten Texte vortrug, schien jedoch für einige der Zuhörer, die sich in der kleinen Stube eingefunden hatten, etwas zu stark zu sein.

Konservativer, aber nicht weniger sympathisch, gestaltete sich Thomas Klupps Lesung im Bodenhaus der nahen Ortschaft Kolm-Saigurn. Beinahe rührend wirkte die Ankündigung des Autors, er wolle aus Textstellen seines Romans lesen, in denen zur Abwechslung die guten Seiten seines Protagonisten Alex Böhm aufschienen. Wer in den vergangenen Tagen die Reden und Diskurse über „Paradiso“ – den prämiierten Roman von Thomas Klupp - gehört hatte, wusste von einem „Widerling“, einem selbstsüchtigen Manipulator, gar einem „Monstrum“. Aber weil das Leben selten schwarz oder weiß ist, und ein Autor zu seinen Figuren - und seien sie noch so große Ungeheuer - wohl doch eine gewisse Nähe verspürt, schien Thomas Klupp hier dem Ganzen eine etwas differenziertere Perspektive geben zu wollen. Wer kann ihm das verübeln?

Die Lesungen der beiden Jungautoren waren aber nicht die einzigen an diesem Nachmittag. Ganz in der Tradition der so genannten „Stör-Lesungen“ trugen zahlreiche Autorinnen und Autoren in Gasthöfen und Pensionen in und um Rauris aus ihren Werken vor. Im Gegenzug wurden sie dort verköstigt. Aufs Schönste treten da die Grundgedanken der Rauriser Literaturtage hervor: der direkte Kontakt zwischen Autor und Leser und die Tatsache, dass Literatur kein Elfenbeinturm sein muss.

Danach blieb nicht Zeit zum Verschnaufen, denn schon hatte der Ansturm auf Sitzplätze im Gasthof Grimming begonnen, wo ab 18 Uhr ein Lesehöhepunkt den nächsten jagen sollte. Hans Joachim Schädlich, Peter Henisch, Katja Oskamp, Michael Köhlmeier sowie das Dramaturgenpaar Turrini/Hassler - eine solche Besetzung zieht natürlich Literaturbegeisterte und solche, die es werden wollen, in Massen an. Viele mussten mit einer Liveübertragung im nahegelegenen Platzwirt Vorlieb nehmen. Literarisches Public Viewing, sozusagen. Leider hat dann jemand das Bildkabel außerhalb des Gebäudes gekappt, was das Aus für die Bildübertragung (der Ton funktionierte weiterhin) im Platzwirt bedeutete. Beinahe Ironie, dass also Michael Köhlmeier, dessen Stimme sich durch zahlreiche Hörfunkauftritte großer Bekannt- und Beliebtheit erfreut, auch diesmal für viele lediglich zu hören war. Die blaue Leinwand war jedoch vergessen, sobald der Autor ansetzte, aus seinem Erzählband „Mitten auf der Straße“ zu lesen.

Köhlmeier vorangegangen waren Lesungen von Hans Joachim Schädlich, Peter Henisch und Katja Oskamp. Besonders berührend war die Lesung Peter Henischs, der zuerst  Proben aus „Die kleine Figur meines Vaters“ gab, jenem Buch, in dem er die Rolle seines Vaters im Nationalsozialismus beleuchtet.

Den Abschluss des Tages bildeten Peter Turrini und Silke Hassler, die aus ihrem gemeinsam verfassten Stück „Jedem das Seine“ lasen und sich auf der Bühne mit Herr bzw. Frau Kollege/Kollegin anredeten. Laut Turrini sollte das Stück, das die Menschenhatz im Wahnsinn der letzten Kriegstage 1945, an der sich die Österreicher maßgeblich beteiligten, beleuchtet, nicht einfach ein weiteres Holocauststück werden, so ehrenvoll dies auch sei, sondern der Versuch, die Gattung der Operette mit diesem traurigen Kapitel deutscher und österreichischer Geschichte zu verbinden. Das Leben sei schon ernst genug, da solle einem nicht auch noch das Lachen abhandenkommen.

Wer dann aber Peter Turrinis Lesung des opportunistisch-faschistischen Bauern Stefan hörte, der kam nicht umhin, sich an Sätze erinnert zu fühlen, die in Österreich tagtäglich gesagt werden, teilweise sogar in gewissen Zeitungen zu lesen sind, und immer öfter zu lesen sind.

Und dann blieb das Lachen eben doch im Hals stecken.

Nachtrag: Wer es bedauerte, nichts von Michael Köhlmeier gesehen zu haben, dem bot sich im Zuge des Kindheitsgesprächs, das am Samstagvormittag (10.4.) im Gasthof Platzwirt stattfand, die Gelegenheit, dies nachzuholen. Unter der Moderation von Brita Steinwendter sprachen Katja Oskamp, Péter Esterházy, Gudrun Seidenauer und Michael Köhlmeier über ihre Kindheit im Speziellen und Ideen von Kindheit im Allgemeinen. Viel Anekdotisches wurde preisgegeben, Lustiges und Schönes, Ernstes und Tiefgründiges. Aber um diese Dinge im Detail zu erfahren, geht man am besten zur Quelle: den Büchern.

Von den Rauriser Literaturtagen berichtet für den DrehPunktKultur auch heuer wieder ein Gruppe von Studierenden des Fachbereichs Germanistik der Universität Salzburg: Lea Müller, Magdalena Stieb, Eva Müller, Alexander Macho und Benjamin Philippi nehmen teil an der Lehrveranstaltung „Literaturbetrieb und literarisches Leben (Rauriser Literaturtage)“ unter der Leitung von Christa Gürtler.

 

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