Schweigen im Walde

REPORTAGE / KLOSTER-JUBILÄUM

04/11/15 Es ist einer jener Orden, dessen Schwestern das Herz absolut nicht auf der Zunge tragen. Und deshalb wird es dem Besucher auf der Kinderalm, hoch über St. Veit und dem Salzachtal, auch kaum auffallen, dass diese Gemeinschaft sehr polyglott ist.

Von Reinhard Kriechbaum

Die derzeit 35 Schwestern kommen aus Österreich, der Schweiz, Italien, Belgien, Frankreich, Tschechien, Ungarn, Polen und der Slowakei. Interne Verständigungsschwierigkeiten gibt es eher nicht, denn die Bestimmung in diesem Orden heißt vor allem: Schweigen und – meistens allein – Beten. Sogar gegessen wird alleine in der Zelle.

Seit dreißig Jahren gibt es das Kloster „Maria im Paradies“, dieser Tage feierte man Jubiläum. Die Besonderheit sind nicht nur die vielen hölzernen Eremitinnen-Häuschen. Während die meisten Klostergemeinschaften ausdünnen, haben die „Schwestern von Bethlehem“ regen Zuwachs junger Frauen. Seit sich die Bethlehem-Schwestern auf der Kinderalm niedergelassen haben, sind über dreißig Frauen in diesen Orden eingetreten.

Die Frauen in weißem Habit mit großer Kapuze fühlen sich dazu berufen, „mit Christus verborgen in Gott“ zu bleiben. Daher die radikale Einsamkeit. Nur am Sonntag gibt es so etwas wie ein gemeinschaftsleben. Am Montag ist überhaupt „Wüstentag“ auf der Kinderalm. Die Liturgie, stark ostkirchlich geprägt, ist für sie „das Leben“, wie es eine Schwester formuliert. Die meiste Zeit verbringen die Schwestern schweigend in ihren Zellen, wo sie beten, die Mahlzeiten einnehmen und arbeiten. Zweimal täglich versammeln sie sich zu Gottesdiensten in der Kirche. Nur der Sonntag wird in Gemeinschaft verbracht.

Stille also. Wo könnte man sie so intensiv spüren, sich ihr so intensiv hingeben wie hier, auf fast 1300 Metern Seehöhe? Von der Kinderalm schaut man auf die Hohen Tauern, und die Bergwelt rund ums Gasteinertal lässt den Menschen zwangsläufig klein und demütig werden.

Wenn sich die Schwestern von der Kinderalm morgens um 6.30 Uhr zur ersten gemeinsamen Hore in der großen Holzkirche versammeln und den aus der Orthodoxie stammenden Hymnus vom heiligen, starken, unsterblichen Gott anstimmen, hat eine jede von ihnen bereits drei Stunden Gebet hinter sich. Halb vier Uhr früh geht es los.

Die Schwestern von Betlehem sind eine sehr junge Ordensgemeinschaft als ein den Kartäuserinnen nahestehendes streng klausuriertes französisches Institut. Es wurde nach der Verkündigung des Dogmas der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel von der französischen Dominikanerin Odile Dupont-Caillard 1951 gegründet. 1976 wurde auch ein männlicher Zweig der Kongregation errichtet. Derzeit gibt es 29 Frauenklöster und vier Männerklöster in 15 Ländern mit mehr als 500 Mitgliedern unter anderem in Deutschland, Österreich, Belgien, Israel, Italien, Spanien und den USA. Zwei Frauenklöster in Mexiko und Jordanien sind in Planung. Man boomt auch in anderen Ländern.

1985 kamen die ersten sieben Schwestern nach Salzburg. Sie bezogen das Berghäuschen der ehemaligen Lungenheilstätte Grafenhof, wo früher, von 1922 bis 1981, in den Sommermonaten tuberkulöse Kinder therapiert wurden. In den drauffolgenden zehn Jahren wurde dieses später als „Unteres Haus“ bezeichnete Gebäude Schritt für Schritt zu einem ersten kleinen Kloster ausgebaut, mit Unterstützung von Helfern von nah und fern und eines Freundevereins, der immer noch besteht und über vierhundert Mitglieder zählt. 1995 wurde der Grundstein gelegt zum „Oberen Haus“, von dem die Kapelle der Einsamkeit als erstes erbaut wurde. Für den Goldegger Architekten Matthias Mulitzer war dieses Projekt fast eine Lebensaufgabe, von der Diplomarbeit weg.

Das Kloster in St. Veit besteht aus einem unteren Teil, wo Pilger auch einige Tage die Stille und Einsamkeit des Klosters teilen können. Einige hundert Menschen kommen jedes Jahr für Tage oder auch Wochen auf die Kinderalm. Das ist nicht mit „Urlaub im Kloster“ oder gar „Kloster auf Zeit“ zu verwechseln: Es ist kein Hotel- oder Bildungshausbetrieb, sondern tatsächlich ein Ort intensivster Anbetung.

Im „Oberen Haus“ leben die Schwestern in völliger Abgeschiedenheit in ihren Zellen mit Kreuzgang und Atelier. Ein Atelier? Hier wird Keramik mit orientalischen Mustern bemalt, und die kann man auch kaufen. Das Kloster finanziert sich aus Spenden und Erträgen aus dem Klosterladen, wo die Schwestern auch religiöses Kunsthandwerk (Ikonen, Rosenkränze) sowie selbst hergestellte Köstlichkeiten anbieten.

Kloster Maria im Paradies Kinderalm, St. Veit im Pongau, Tel. 06415 / 70 22 – www.bethleem.org
Bilder: Kloster Maria im Paradies Kinderalm (2); Initiative Architektur / Petra Steiner (1)
Zu DrehPunktKultur-Berichten über den "Klosterarchitekten" Matthias Mulitzer
Ein Einsiedler-Architekt und Seelenverwandschaft ohne viele Worte