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Festival-Freuden der Selbstverständlichkeit

JAZZFESTIVAL SAALFELDEN

28/08/11 Der Kongress denkt. So jedenfalls mag es aussehen für einen Comicfan: Eine Denk-Blase, geschätzte hundertmal größer als im Micky-Maus-Heft, pickt derzeit auf dem Kongresszentrum Saalfelden.  Und was sich der Bau so denkt? Nicht gerade Tiefschürfendes: Ein herzliches „Tätarä!“ kreischt das Publikum an, das auf das Zentrum des Jazzfestivals zusteuert.

Von Christoph Irrgeher

„Tätarä“, „Tsching Bummm“, „Didl Dum Didl Dey“, Letzteres gar als Motto: Fünf Jahre nach der Wiedergeburt des einst finanziell gestrauchelten Zelt-Festivals heften sich die Intendanten Michaela Mayer und Mario Steidl Ironie auf die Fahnen. Und dieser Hauch von Dada, er ist nicht nur ein Hohn auf alte Jazzklischees und Festival-Mottos an sich, er ist – auf paradoxe Weise – auch bezeichnend für den Saalfeldner Status Quo.  Eben weil Steidl und Mayer seit 2006 Markenpflege mit einer konstanten Programmpolitik betreiben, können sie Nichtssagendes affichieren.  Dass dieses etablierte Festival-Format dann just ein Forum neuer Jazz-Klänge sein will, muss auch keinen Widerspruch bedeuten. Mag man hier auch gern gewissen Ansätzen huldigen (Stil-Fusionen, Traditions-Updates, Free Jazz), mag die Dramaturgie auch ihre Eckpfeiler haben (die späte Nacht gehört der E-Gitarre), so lässt sich das Format doch jährlich mit neuen Inhalten füllen. Nun ja: In der Theorie zumindest. Dass sich in der Praxis ein Quäntchen Routine einschleift, ist kaum zu vermeiden. Aber man sollte auch nicht zu streng sein mit Saalfelden. Zwischen all den Festival-Manegen für Tournee-Schlachtrösser und den letzten Hardcore-Zitadellen des Free Jazz ist es ein hinreißender Solitär.

Die ersten beiden Hauptbühnen-Tage waren nun auch eine erfreuliche Bestätigung hiesiger Qualität. Saalfelden: Da weiß man, wo man ist. Sowohl der Freitag wie der Samstag sahen Saalfelden-typische Protagonisten – jedoch kaum einen Ansatz, der markant aus dem Programm geragt hätte.

Gelungener als in manchem Jahr die Auftragskomposition: Während eine Überambitioniertheit schon so manchem Improvisator die Pranke lähmte, entledigt sich Max Nagl seiner Aufgabe mit Eleganz: Der heimische Saxofonist hat den Personalstand seines Quartetts Big Four verdoppelt, die Notenmenge jedoch nicht zum Klotz am Bein anwachsen lassen. Eine geglückte Balance steckt unter diesem Klangstrom, der sich gern träge, düster dahinrollt, dann und wann aber ins Unvermutete entschwebt. Hier eine Free-Jazz-Konvulsion, da Marsch-Verdächtiges, dort fast ein Ritornell: insgesamt eine Art Wunderkammermusik der Kontraste. Wunderbar vor allem jene Ballade, in der Pamelia Kurstin ihren Theremin singen lässt: fast eine Arie für das Magnetfeld-Instrument, das ja meist nur grelles Quietscherl („Good Vibrations“) sein darf.

Überraschend dann auch der Auftritt des Vietnamesen Cuong Vu, einer Art Arnulf Rainer des Jazz-Standard. Mit halligen Trompeten-Loops und weiterführenden Elektro-Gimmicks seines Quartetts schichtet er wuchtige Collagen, in denen dann umvermutet ein Standard keimt. Wobei man diese Collagen mitunter schon „schalldicht“ nennen könnte: So dicht, dass für weitere Töne schlicht kein Platz mehr ist. Kontrastreicher der Late-Night-Auftritt der Dead Kenny G’s: ein komödiantischer, virtuoser Frontenkampf zwischen Punk (Dead Kennedys) und Softjazz (Kenny G). Die drei Amerikaner gerieren sich nicht nur optisch (blutbeflecktes Sakko, Kenny-G-Wuschelperücke) wie der Albtraum des Kommerz: Rockiges kommt bei ihnen knüppelhart und mit martialischer Ansage („Kill the poor – they cost too much“) – und umso überraschender, als Schlagzeuger Mike Dillon beizeiten feingliedrige Vibraphon-Intermezzi liefert.

Ja: Auch Spaß muss sein. Aber nicht jeder ist ein Kracher, wie am Samstag zu bemerken. Da werkte nämlich ein belgisch-schweizerisches Kollektiv des Namens Trank Zappa Grappa in Varese?, das damit auch schon den besten Einfall seines Bandlebens gehabt haben dürfte. Angehörs der ungelenken Narreteien, denen die vier Jazzrocker frönen, hätten sie beim perfektionistischen Frank Zappa nicht einmal den Boden wischen dürfen. Deutlich energischer danach die Free-Jazz-Ikone David S. Ware. Wobei mit Energie aber auch schon alles gesagt ist: Das Quartett des 62-Jähren beginnt auf der Intensitätsstufe Gib-ihm-fünfter-Gang! und zeigt eine Stunde wenig Lust an Veränderung, am allerwenigsten der Leader selbst: Auch wenn die Kollegen das Gaspedal einmal ein paar Zentimeter heben, stößt er störrisch starr ins Horn.

Den Gegenpol liefert Lorenz Raab: Der heimische Trompeter mit dem Faible für lyrische, leicht verwischte Bläser-Schichtungen zeigt sich mit seinem neuen Quartet Expanded eher von der sanften Seite – eine schöne Sache, denn Raab hat einen wunderwarmen Ton. Nicht so schön allerdings, wenn dann manches Stück etwas substanzarm anmutet. Aber das neue Quartett ist ja gerade erst zwei Tage alt – und eine Babykrankheit noch kein Grund zur Besorgnis.

Mit einer frappanten Entwicklung lässt letztlich Elliot Sharp aufhorchen. Wer seinem Blues-Projekt nicht schon nach wenigen Minuten aufgrund von Müdigkeit (ein Uhr nachts!) oder Furcht (wird das jetzt „Sister Act III“?) den Rücken kehrt, erlebt eine wundersame Wandlung: Beginnt der US-Avantgardist seine Verneigung vor der Blueslegende Willie Dixon auch erz-kommerzrockig, so umschattet bald mehr und mehr eine dunkle Psychedelik die Songs. Und wenn das Konzert zu Ende ist, will man fast meinen, einen David-Lynch-Film gesehen zu haben: Rege Begeisterung um zwei Uhr früh für Sharps Sextett.

Bilder: Jazzfestival Saalfelden (5); Johannes Novohradsky (1)
DrehPunktKultur-Gastautor Christoph Irrgeher ist Musik-Redakteur der Wiener Zeitung. - www.wienerzeitung.at

 

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