Familienaufstellung à la France

IM KINO / BEZAUBERNDE LÜGEN

20/04/12 So kann’s gehen: Eigentlich war Emilie die Empfängerin eines anonymen Liebesbriefs voll glühender Poesie. Der ihr unbekannte Absender, Haus-Elektriker in Emilies Friseursalon, muss zerknirscht mit ansehen, wie der mit Herzblut beschriebene Zettel im Papierkorb landet.

Von Reinhard Kriechbaum

Doch dann überlegt Emilie es sich anders: Ihre Mutter, eine eigenwillige Dame, ist depressiv ob ihres Singledaseins. Die Tochter fischt den Brief aus dem Papierkorb und wirft ihn ihrer Mutter in den Briefkasten, zwecks Stimmungsaufheiterung. Das kann nicht gut gehen? Nein, es geht tatsächlich nicht gut. Der Brief zieht weitere fingierte Briefe nach sich und es entstehen unbeabsichtigte Liebes-Fäden.

Würde man den Inhalt weitererzählen, dann würde im Leser der Argwohn aufsteigen: eine harmlose Sommerloch-Komödie. Ja, stimmt schon. Regisseur Pierre Salvadori hat ein Faible für romantische Komödien. Aber er hat zugleich ein glückliches Händchen fürs genaue Beobachten und es interessieren ihn die psychologischen Hintergründe. Mag schon sein, dass die Mutter der liebreizenden Emilie einen leichten Seelenknacks hat. Aber Emilie ist auch nicht ganz koscher, zwischen blindwütiger Empathie und etwas abgehobenem Selbstbewusstsein steuert sie glücklos hin und her. Die Traumfrau stellt man sich, durchs Vergrößerungsglas betrachtet, jedenfalls dann doch nicht ganz so vor.

Die Geschichte nimmt ein paar tollkühne Wendungen, das hält den Zuseher bei Laune und gibt dem Regisseur die Möglichkeit, mit leichter Hand einige Seelenabgründe sehr präzis auszuleuchten. Das würde man in dieser Art von scheinbarem Filmkomödchen gar nicht erwarten. Entscheidend: Es wirkt nicht gewollt, nicht konstruiert, sondern mit Charme erzählt. Die analytische Tiefenschau ergibt sich wie von selbst. Man kann herzhaft lachen über diese tragikomische Familienaufstellung à la France. So verspielt und elegant funktioniert Freud in Südfrankreich.

Emilie ist Audrey Tautou, die Hauptdarstellerin aus „Die wunderbare Welt der Amelie“. Diese Kulleraugen, diese natürliche Unkompliziertheit! Die kleine Zicke erkennt man erst beim genaueren Hinschauen, und das macht sie doppelt anziehend. Nathalie Baye, vierfache César-Preisträgerin, spielt die Mutter, für die man immer mehr Mitgefühl aufbringt, die man aber auch immer stärker als eigentliche Fädenzieherin entlarvt. Und Sami Bouajila ist der Mann, der ungewollt mit seiner schriftlich formulierten Liebesbeteuerung die ganmze Malaise erst in Gang gesetzt hat.

Aber bitte: bloß den deutschen Kitsch-Filmtitel „Bezaubernde Lügen“ nicht ernst nehmen. „De vrais mensonges“, wahre Lügen – das trifft die Sache perfekt.

Bilder: bezauberndeluegen-film.de