Zweierlei grandioses Kopftheater
GRAZ / DIAGONALE / DOKUMENTARFILME
10/03/16 Seine Putzfrau Viola hat er überlebt, und sich selbst schon lange: Aber für einen wundervoll-verstörenden Dokumentarfilm ist der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten gerade Siebzig gewesene Helmut Berger immer noch gut.
Von Reinhard Kriechbaum
Es beginnt und endet mit einer krassen (Single-)Sexszene, und das ist gewiss nicht unpassend für den einstigen Filmschönling, der zu Viscontis Muse und in der Regenbogenpresse zum „schönsten Mann der Welt“ hochstilisiert wurde. Dieser „schönste Mann“ lebt jetzt in Salzburg, in einem Plattenbau in Aigen. Seine Backside bekommt man als Allererstes zu sehen, bevor er wieder in den verdreckten Pyjama schlüpft. Depressiv, versoffen, größenwahnsinnig, mit dem Kopf irgendwo hängen geblieben in seiner ehemaligen Welt der (mehrenteils verstorbenen) Celebrities. Diesem gleichwohl immer noch faszinierenden Menschen hat sich der Salzburger Filmemacher Andreas Horvath angenähert.
Horvath ist, wie man weiß, kein Zimperlicher seiner Zunft. Entsprechend deftig ist dieser Film ausgefallen, der nun bei der Diagonale in Graz seine Österreichische Erstaufführung erlebte. Das Faszinierende ist die Grenzziehung, die eigentlich nicht möglich ist. Wo endet das unsäglich triste Leben dieses hoffnungslos abgesandelten Menschen, wo fängt die Schauspielkunst eines grandiosen Exhibitionisten an? Und wo fallen Schranken im Verhältnis zwischen Dokumentarfilmer und Porträtiertem?
In einer Szene flammt zwischen den beiden ein ziemlich heftiger Disput auf, wo – sagen wir es durch die Blume – Horvath eben aufhört und Visconti begänne. Es ist eben ein Dokumentarfilm, so der aufgebrachte Helmut Berger letztlich achselzuckend, und deshalb notgedrungen langweilig...
Natürlich ist ein solches Porträt auch Deutung durch seinen Macher, in diesem Fall sehr sogar. Andreas Horvath montiert beeindruckende Wolken- und Naturaufnahmen (das sind dann immer Schnitte zwischen den Seelen-Welten des Schauspielers), scharf verschnitten mit exzessivsten Selbstdarstellungs-Orgien des Ex-Schauspielers und lapidaren Aussagen seiner ehemaligen Putzfrau (die alte Dame ist unterdessen verstorben). Auch manches, was Berger dem Filmer in welchem Seelen- und Geisteszustand auch immer auf den Anrufbeantworter gesprochen hat, ist hineinmontiert. Das Auf und Ab schwerer psychischer Erkrankung, die Flucht in Scheinwelten, die Hoffnungslosigkeit, mit der sagenhaft tristen Lebenswelt zusammen zu kommen: ein Giftmix in einem Film, der das Exzessive und Selbstzerstörerische dieses Lebens in opulente Bilder packt und das Armseligste mit Wollust greift.
Ein weiterer Dokumentarfilm mit Salzburg-Bezug (über seinen Produzenten Othmar Schmiderer und seine Regisseurin Angela Summereder, die hier studiert hat) ist „Aus dem Nichts“, uraufgeführt bei der Viennale 2015. Es geht, zuerst einmal, um einen Spintisierer aus dem tiefsten Oberösterreich. Carl Schappeller war ein Erfinder, der im heute desolaten Schloss Aurolzmünster Hof hielt und an Apparaturen bastelte, die ihre Energie aus Naturkräften schöpfen sollten. Genauer: Er zeichnete Entwürfe und war ein tüchtiger Geldauftreiber bis in höchste Kreise.
Schließlich ging er als herzerfrischender Schwindler ein in die Lokalgeschichte. Dann aber macht Angela Summereder einen Schwenk in die Wissenschaft (oder Pseudo-Wissenschaft) der Jetztzeit, lässt uns den deutschen Experimentalphysiker Claus Turtur und Paramahamsa Tewari kennen lernen. Der charismatische Inder hat immerhin mal ein ein Atomkraftwerk geleitet. Die beiden und andere arbeiten jetzt an „Raumenergie“. Sie sind absolut davon überzeugt, dass Kräfte, von denen wir noch nichts ahnen, Energie nicht nur verstärken, sondern potenzieren können. Die Dinge, an denen sie basteln, wären quasi Perpetuum mobiles aus All-Energie. Humbug oder der einzig vernünftige Weg, unsere Welt der fossilen oder nuklearen Brennstoffe zu revolutionieren? Angela Summereder lässt das vernünftiger Weise offen.