Begegnung im Sehnsuchtsland Brasilien
HINTERGRUND / FILM / „SAUDADE“
19/06/15 Wie kommt es, dass Herbert Lindsberger, Bratschist im Mozarteumorchester und emsig tätig auch auf dem Feld der Alten Musik, sich mit Haut und Haaren dem Land Brasilien und dem Komponisten Sigismund Ritter von Neukomm verschrieben hat? Gemeinsam mit Ulrike Halmschlager hat er nun sogar einen Dokumentarfilm gedreht.
Von Reinhard Kriechbaum
Als „pränatal ausgewandert“ bezeichnet sich der Musiker, wenn er gefragt wird, woher denn seine Affinität zu Brasilien komme. Das hat mit seinen Vorfahren zu tun, die 1936 von Lienz nach Brasilien ausgewandert waren, um dort in der Tiroler Kolonie Dreizehnlinden (Treze Tilias) das versprochene „Paradies“ zu finden. Es war dann doch kein Paradies, stellte sich heraus, man kehrte bald wieder zurück.
Deutlich mehr Glück hatte dort der Salzburger Komponist Sigismund Neukomm: Im Frühling 1797 machte sich der auf den Weg in die Fremde. „Ich wollte Genaueres erfahren über sein spannendes Leben, seine abenteuerlichen Reisen“, erklärt Herbert Lindsberger, den diese ungewöhnliche Biographie gefesselt hat: „Was ihn trieb und wohin es ihn führte, wie man Hauspianist wird bei Charles Talleyrand, mit diesem am Wiener Kongress teilnimmt, plötzlich nach Brasilien aufbricht, immer in der Nähe politischer Entscheidungsträger...“
Ein bewegtes Leben also. Von den etwa zweitausend Kompositionen des Sigismund Ritter von Neukomm sind etwa fünfzig in Brasilien, am Kaiserhof in Rio de Janeiro, entstanden. „Es mag nachvollziehbar sein, dass der von Salzburg ausstrahlende genius loci Wolfgang Amadé Mozart seine Kollegen in allem übertraf“, erklärt Lindsberger. „Es bleibt aber zumindest verwunderlich, dass sein 22 Jahre später geborener Nachbar Sigismund Neukomm als in seiner Zeit hochgeschätzter Komponist, Organist, Dirigent und Wissenschaftler heute und hier in Österreich als vergessen zu bezeichnen ist.“ In Brasilien ist das übrigens nicht so, weiß Lindsberger, dort sei der Name Neukomm nach wie vor ein klingender.
Der Musik von Sigismund Ritter von Neukomm hat Lindsberger vor drei Jahren ein Kammermusikprojekt gewidmet, das damals unter anderem beim Diabellisommer in Mattsee zu hören war. Aber jetzt erst fühlt Lindsberger sich eigentlich am Ziel: Seine intensive Beschäftigung ist nämlich in einen Dokumentarfilm gemündet: „Saudade - Rendezvous in Brasilien“ wird am Sonntag und Montag (21./22.6.) im Filmkulturzentrum „Das Kino“ gezeigt.
Mit Herbert Lindsberger hat sich die Regisseurin und Kamerafrau Ulrike Halmschlager auf Reisen begeben. „Ihr spontanes 'klingt sehr interessant' bestärkte mich in meiner Idee, dieses Thema für einen Dokumentarfilm aufzubereiten“, erinnert sich der Musiker mit Forscherdrang. Es wurde eine intensive Zusammenarbeit mit Ulrike Halmschlager, über beinahe drei Jahre: „Neben allen künstlerischen Qualitäten waren ihr bedingungsloser Einsatz für das Projekt, ihr unendlicher Idealismus in Verbindung mit ihrer beeindruckenden sozialen Kompetenz die wesentliche Basis für das Zustandekommen des Films.“, und eine große Bereicherung für mich.
In dem Film „Saudade – Rendezvous in Brasilien“ gibt es noch eine Brasilien-Einwanderin: Leopoldine von Österreich, Tochter der Kaiserin Maria Theresia, wurde aus Staatsräson 1817 mit dem portugiesischen Kronprinzen Pedro do Braganca verheiratet. Die Erzherzogin haderte nicht wenig mit ihrem Leben in der Fremde, aber sie wurde, als ihr Mann 1822 im Alter von 24 Jahren zum Kaiser von Brasilien gekrönt wurde, zur „nossa mãe“ (Unsere Mutter) des brasilianischen Volkes. Bis heute wird ihr Namenstag, der 15. November, in Brasilien als Staatsfeiertag begangen. Sie und der Komponist Sigismund Ritter von Neukomm hatten tatsächlich miteinander zu tun. „Die beiden verbinden vier gemeinsame Jahre am Kaiserhof in Rio de Janeiro“, weiß Herbert Lindsberger.