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Wilgefortis Wurst

IM PORTRÄT

20/05/15 Bart im Frauengesicht? Passt. Haare? Hellbraun und leicht gewellt. Weniger treffend. Schon eher das exquisite Äußere: Die Goldschuhe täten auch an den zarten Füßen der Conchita Wurst was hermachen.

Von Reinhard Kriechbaum

Doch leider, nein: Nicht von der Vorjahressiegerin beim Song Contest ist die Rede, sondern von einer Dame namens Wilgefortis. Sie hat nicht gesungen, sondern fromm geredet. Vielleicht auch von Toleranz und dergleichen, ganz gewiss von einem friedlichen Umgang miteinander. Mit Hochzeit hatte sie nichts am Hut. Auch das möglicherweise eine Parallele zu Conchita Wurst.

Wie wir drauf kommen? Es gibt eine neue Briefmarke, zum Eurovisions Song Contest. Die zeigt aber eben nicht Herrn/Frau Wurst, sondern die Heilige Kümmernis. Selten, aber doch da und dort trifft man auf diese rätselhafte Heilige mit Bart, die am Kreuz hängt wie Christus.

Die Skulptur im Grazer Diözesanmuseum ist Kennern weitum geläufig. Dort hat man nun „auf vielfachen Wunsch der Besucher“ die Darstellung der Volksheiligen Kümmernis bzw. Wilgefortis nicht nur als Postkarte, sondern nun auch als Briefmarke herausgebracht. Die personalisierte Sondermarke mit dem Frankierwert von 0,68 Euro zeigt die bärtige Frau am Kreuz, die freilich nie heiliggesprochen wurde und nach deren Festtag man im kirchlichen Heiligenkalender auch vergeblich sucht.

Die Legende - so heißt es in einer Aussendung des Diözesanmuseums - berichtet von der Kümmernis als Prinzessin in Süditalien, die sich zum Christentum bekehrte und sich dann der Heirat entzog, indem sie mit göttlicher Hilfe durch einen Bart „entstellt“ wurde. Der erboste Vater ließ sie daraufhin ans Kreuz schlagen, von dem herab Kümmernis noch drei Tage gepredigt und viele Menschen zum Christentum bekehrt haben soll.

In Wahrheit sei das Bild aus einem kulturellen Missverständnis heraus entstanden, erklären heute Volkskundler und Kunsthistoriker. In Südeuropa sei nämlich Jesus Christus am Kreuz mit einem langen Prunkgewand dargestellt worden. In nördlicheren Ländern sei diese ikonographische Besonderheit unbekannt gewesen und habe für Irritation, Neugier und Diskussion gesorgt. Aus einem Missverständnis heraus habe man sich also die Legende von der Hl. Kümmernis ausgedacht. entstanden.

Für Kulturwissenschaftler sei besonders spannend sei, „dass dieses Phänomen nach Hunderten von Jahren mit Tom Neuwirth als Conchita Wurst immer noch oder wieder funktioniert und zu einer neuen Erfolgsgeschichte werden kann“, stellt man im Grazer Diözesanmuseum fest. Ein Grund also, die museumseigene Kümmernis-Darstellung „als Botschafterin für kulturellen Dialog“ in Form einer Briefmarke los zu schicken. Die werde „mit Sicherheit ein beliebtes Sammlerstück“, heißt es.

Die Sondermarke „Hl. Kümmernis“ ist im Diözesanmuseum Graz in begrenzter Auflage (300 Stück) zum Preis von Euro 1,90 zu beziehen – Die Sonderausstellung im Grazer Diözesanmuseum gilt anmutigeren Frauenporträts: „Maria. 1001 Gesichter der Liebe“ ist bis 11. Oktober zu sehen. – www.dioezesanmuseum.at
Bild: Diözesanmuseum Graz

 

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