Die Schwerkraft ins Wanken bringen

IM PORTRÄT / HEINER GOEBBELS / SALZBURG BIENNALE

02/03/11 „Die meisten Institutionen sind ja doch nicht in der Lage mit dem Proben anzufangen, ohne Partitur.“ Daher habe er, so Heiner Goebbels, viele Kompositionsaufträge abgelehnt, weil es ihn nicht interessiert, „für Sänger oben auf der Bühne und Orchester unten im Graben“ zu schreiben. Sein Musiktheater „Schwarz auf Weiß“ ist vor fünfzehn Jahren uraufgeführt worden: als gemeinsames Kind des Komponisten mit dem „Ensemble Modern“. Morgen Donnerstag (3.3.) wird mit "Schwarz auf Weiß" die Salzburg Biennale eröffnet.

Von Heidemarie Klabacher

altDamals, vor fünfzehn Jahren, wollte er sich nicht einmal auf die Virtuosität der Musiker verlassen: „Es gibt eine Szene, wo alle, auch die Streicher, ein Blasinstrument spielen. Das mussten sie natürlich erst lernen - und ich musste vorsichtig komponieren.“ Eine Möglichkeit zum Aufbrechen des Herkömmlichen. Und: „Man muss die Vierteltonschwankungen nicht erst komponieren, wenn die Streicher Blasinstrumente spielen.“

Beim Pressegespräch heute Mittwoch (2.3.) zur Eröffnung der Salzburg Biennale machte Heiner Goebbels anschaulich, worum es ihm als Komponist geht - und worum nicht. „Ich misstraue dem Uraufführungs-Karussell. Ich will das nicht bedienen.“ Eine solche Auffassung widerspreche zwar allen Marktgesetzten. Er sei dennoch der Meinung, „wenn zeitgenössische Stücke gut sind, soll man sie auch pflegen“.

Er selber brauche immer zwei bis drei Jahre für ein neues Werk. Derzeit arbeite er an einem Stück für einen Mädchenchor in Slowenien (bei dem es nicht nur um Chormusik, sondern auch um die gesellschaftspolitische Situation der Mädchen gehen wird). Dazwischen kümmere er sich um die Aufführungen seiner Werke. „Ich bleibe bei meinen Arbeiten gerne dabei.“

In Salzburg betreut der Komponist - und designierte Leiter der Ruhrtriennale für die Spielzeiten 2012 bis 2014 - die Wiederaufführung seines „Schwarz auf Weiß“ im Salzburger Landestheater morgen Donnerstag (3.3.). Das Stück sei seit seiner Uraufführung 1996 in Frankfurt „zwischen Adelaide und Moskau“ gut siebzig bis achtzig Mal aufgeführt worden. In Salzburg wird es, aufgrund der Raumsituation im Landestheater, „das kleinste ‚Schwarz auf Weiß’, das es je gab“. Erst jüngst habe er eine Aufführung in Spanien gesehen: „Das Stück ist kraftvoller geworden. Die Musiker sind jetzt nicht mehr junge Männer, sondern gestandene Familienväter. Das macht stärker.“

Worum geht es denn überhaupt? Die „Geschichte“ (ja, es gibt eine Geschichte) basiere u. a. auf Edgar Allan Poe und erzählt von einer Gruppe von Menschen, die eine Katastrophe überlebt hat und plötzlich einen Schatten an der Wand entdeckt… „Dieser Schatten war quasi das Vermächtnis aller verstorbenen Angehörigen und Freunde.“

Er wollte mit diesem Werk „das Musikmachen selber zum Thema machen“ und ein Stück für einen „kollektiven Protagonisten“ - eben das „Ensemble Modern“ - schreiben. „Als ich zur ersten Probe gegangen bin, hatte ich keine einzige Note komponiert. Ich hatte das Ensemble Modern für vier bis fünf Tage zur Verfügung, und er wollte herausfinden, was das Ensemble Modern über die Musik hinaus kann.“

Heiner Müller, der während der Proben zu „Schwarz auf Weiß“ verstorben ist, ist als Stimme vom Band bis heute entscheidend für die Produktion. Entstanden sei „ein Stück mit den Kräften des Theaters, wo wir als Zuschauer Erfahrungen machen, die uns vielleicht auch erschrecken“. Es würde nichts dagegen sprechen, so Goebbels, „wenn von den gut achtzig Opernhäusern in Deutschland ein paar für solch offene Laborsituationen zur Verfügung stünden“.

Heiner Goebbels wurde 1952 geboren. Er studierte Soziologie und Musik. Nach frühen Kompositionen von Film- und Theatermusik entstanden seit Mitte der  1980er-Jahre vor allem szenische Konzerte und komponierte Hörstücke. Seine Kompositionen wurden u.a. vom Ensemble Modern, der London Sinfonietta und den Berliner Philharmonikern aufgeführt. Seit Beginn der 1990er-Jahre Komposition und Regie eigener Musiktheaterstücke. Er erhielt zahlreiche internationale Preise und war composer-in-residence beim Lucerne Festival

sowie bei den Bochumer Symphonikern. Er ist Mitglied mehrerer Akademien (Frankfurt, Berlin, Düsseldorf, Mainz), Honorable Fellow am Dartington College of Arts und an der Central School of Speech and Drama (London). Er war Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin (2007/08). Goebbels ist Professor und geschäftsführender Direktor am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen und seit 2006 Präsident der Hessischen Theaterakademie. 2012 wird er Intendant der Ruhrtriennale.

Das Ensemble Modern spielt bei der Salzburg Biennale nicht nur „Schwarz auf Weiß“ auf der Musiktheater-Schiene „Szenenwechsel“, sondern auch auf der Film-Schiene „Lichtspielmusik“: "ChaplinOperas" (4.3.) und „Metropolis“ (5.3.) von Fritz Lang in der rekonstruierten Fassung von 2010. Die Filmmusik von Martin Metalon ist eine Uraufführung - www.salzburgbiennale.at
Bild: Biennale /Doris Wild