Markenzeichen Bürgerschreck

TODESFALL / HANS NEUENFELS

07/02/22 Das Wort „nachhaltig“ ist man versucht zu gebrauchen: Mit seiner Fledermaus-Regie und dem daraus resultierenden letzten Festspiel-Skandal in der Ära Mortier hat sich Hans Neuenfels 2001 unauslöschlich in die Salzburg-Annalen eingetragen. Der Theater-, Opern- und Filmregisseur ist am Sonntag (6.2.) im Alter von achtzig Jahren in Berlin gestorben.

„Hans Neuenfels war einer der ganz großen Theater- und Opernregisseure. Mit ihm verliert die Welt der Kultur einen seiner bedeutendsten und originärsten Protagonisten, einen Theatererfinder, der in all seinen Widersprüchen immer einem unbedingten Kunstgedanken gefolgt ist.“ So Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser.

Oft war Neuenfels nicht nach Salzburg eingeladen. Im Jahr 2000 hat er Mozarts Cosi fan tutte inszeniert, auch da hatte es bereits kontroversielle Reaktionen und heftige Debatten gegeben. Die Fledermaus im Jahr danach, aufgemotzt zu einem zeitgeschichtlichen Sex-and-crime-Spektakel, hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst und auch das Feuilleton gespalten. Vergleichsweise moderat dann nach langer, langer Salzburg-Pause Tschaikowskis Pique Dame im Festspielsommer 2018.

Hans Neuenfels studierte Schauspiel und Regie am Max-Reinhardt-Seminar in Wien und an der damaligen Folkwang Hochschule in Essen-Werden. Für kurze Zeit war Neuenfels Assistent des Surrealisten Max Ernst und lebte mit ihm in Paris.

1964 begann Hans Neuenfels mit eigenen Inszenierungen in Wien, arbeitete dann an den Theatern in Trier, Theater Krefeld und Heidelberg. 1972 ging Neuenfels nach Frankfurt am Main, wo er unter der Intendanz von Peter Palitzsch im Mitbestimmungsmodell das Schauspiel mitprägte (Medea von Euripides und Goethes Iphigenie auf Tauris). Er inszenierte unter anderem Roger Vitracs Victor oder Die Kinder an der Macht, in Hamburg mit Ulrich Wildgruber und in Wien mit Klaus Maria Brandauer, Penthesilea am Schillertheater (Berlin) mit seiner Gattin Elisabeth Trissenaar, Ein Sommernachtstraum ebenfalls am Schillertheater mit Bernhard Minetti, Das Käthchen von Heilbronn im Burgtheater mit Anne Bennent sowie 1977 Frank Wedekinds Lulu in Zürich. Von 1986 bis 1990 leitete Neuenfels als Intendant das Theater der Freien Volksbühne in Berlin.

1974 begann Hans Neuenfels mit Verdis Der Troubadour in Nürnberg seine Karriere als Opernregisseur. Berühmt wurde 1980 seine Produktion von Giuseppe Verdis Aida an der Oper Frankfurt. Geradezu legendär wurde seine Entscheidung, die Titelheldin als Putzfrau zu zeigen.

Unter der Intendanz von Klaus Zehelein in Stuttgart feierte Hans Neuenfels’ Neuinszenierung der Meistersinger von Nürnberg 1993 ihre Premiere, der 1998 mit der Entführung aus dem Serail seine erste Inszenierung einer Mozart-Oper folgte.Skandale oder zumindest größeres Aufsehen produzierten Le prophète (Giacomo Meyerbeer) an der Wiener Staatsoper, seine Nabucco-Interpretation an der Deutschen Oper Berlin und eben die Fledermaus in Salzburg. 2010 inszenierte Neuenfels Richard Wagners Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen. Er machte dort aus dem Herzogtum Brabant einen Tummelplatz für Laborratten.

Um Provokation war Neuenfels nie verlegen: In einer Inszenierung des Idomeneo 2003 an der Deutschen Oper Berlin Premiere gab es im Epilog eine Szene, in der Idomeneo die abgeschlagenen Köpfe von Poseidon, Christus, Mohammed und Buddha aus einem Laken holt und diese auf vier Stühle stellt. Die Aufführung wurde nach einer Warnung des Landeskriminalamts vor islamistisch motivierten Anfeindungen für ein paar Jahre abgesetzt.

Starken Tobak hatte Neuenfels 1983 als Drehbuchschreiber und Regisseur der filmischen Jean-Genet-Biographie Reise in ein verborgenes Leben geliefert. Der Film wurde im Rahmen der Berliner Festwochen uraufgeführt, aber nie in der ARD ausgestrahlt. Fernseh-Verantwortliche warfen Neuenfels eine „ unerträgliche Fäkalsprache“ vor. Der Film wurde erst wieder 2020 online gezeigt.

Der koksende Prinz Orlovsky, ein Frosch, der die Premierenbesucher als „kapitalistische Goldfische“ beschimpfte, Anspielungen ans Nazi-Regime: Das war also durchaus erwartbar gewesen im Jahr 2001, wobei die Kritik mit der damals unkontrolliert-verqueren Überfülle der Regieideen hart ins Gericht ging. (dpk-krie)

Bild: SF / Anne Zeuner