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Der Bewahrer des allzu Flüchtigen

IM PORTRÄT / GOTTFRIED KRAUS

02/08/17 „Mir ging es am Anfang vor allem um die Bewahrung der Furtwängler-Aufnahmen“, sagt Gottfried Kraus, der ein Vierteljahrhundert lang die „Salzburger Festspieldokumente“ betreut hat. Über 400 Titel, davon sechzig Opern, ein Dutzend Uraufführungen, über hundert Orchesterkonzert-Mitschnitte...

Von Reinhard Kriechbaum

Wenige haben die Goldene Festspiel-Nadel, die ihm Helga Rabl-Stadler heute Mittwoch in Ermangelung eines Sakkos ans Hemd gesteckt hat, so verdient, wie dieser professionelle Musikenthusiast. „Meine Affinität zu historischen Tondokumenten hatte eine lange Geschichte“, erzählt Kraus, als er zum 150-Jahre-Jubiläum der Wiener Philharmoniker die Edition von Aufnahmen übernahm. So etwas auch in Salzburg zu machen, diese Idee trug er an den damaligen Festspielpräsidenten Heinrich Wiesmüller heran.

Bei der Philharmoniker-Edition war klar: Nur tote Dirigenten, sonst gibt’s Schwierigkeiten“, so Kraus schmunzelnd. Bei Festspielaufführungen, die über die Karajan-Jahrzehnte fest im Griff der Tonträger-Branche waren, waren Vertrags-Schwierigkeiten quasi vorprogrammiert, auch wenn Kraus betont: „Eigentlich haben immer alle Künstler ja gesagt.“ Die großen Firmen, von der DGG bis zu EMI, zeigten sich anfangs zwar angetan von dem Projekt, als es ernst wurde, sind sie aber samt und sonders ausgestiegen. So stand der Start der „Salzburger Festspieldokumente“ an der Kippe. ORFEO, bis heute treuester Partner der Edition, übernahm die Sache im Alleingang.

Im Juli 1992 – pünktlich zur Eröffnung der ersten Festspiele der Intendanz Gerard Mortier – veröffentlichten die Salzburger Festspiele die ersten „Salzburger Festspieldokumente“. Das CD-Paket, für das auch eine Subskription aufgelegt worden war, enthielt drei Opern – die Uraufführung der Liebe der Danae von Richard Strauss aus dem Jahr 1952 unter der Leitung

von Clemens Krauss, den Premierenmitschnitt der legendären Figaro-Aufführung unter Karl Böhm von 1957 und die von Herbert von Karajan dirigierte Aufführung der Elektra von 1963. „Wichtig war mir auch, das nachhaltige Wirken von Karl Böhm in Salzburg – 1938 dirigierte er hier zum ersten Mal – fest zu halten.“

Gottfried Kraus brachte viel Festspiel-Erfahrung mit für das Vorhaben, das sich als Langzeit- und Zukunftsprojekt erweisen sollte: Der 1936 in Wien geborene Journalisrt war ja von 1963 bis 1972 Kulturredakteur und Musikkritiker bei den „Salzburger Nachrichten“ gewesen, und hatte danach (bis 1979) im hiesigen ORF-Landesstudio die Abteilung Ernste Musik geleitet. Er war also nah dran an den Aufnahmen. „Die Tatsache, dass im Landesstudio des Österreichischen Rundfunks seit den Fünfzigerjahren die Mitschnitte nahezu aller wichtigen Veranstaltungen archiviert wurden, schuf die Voraussetzung für den Entschluss der Festspiele, mit einer eigenen Schallplatten-Edition Neuland zu betreten“, erinnert sich Kraus. Zu vielem, was im Lauf von zweieinhalb Jahrzehnten als Festspieldokument neu aufgelegt wurde, hat er Jugend- und Berufserinnerungen.

Elke Tschaikner, Leiterin der Ö1 Musikredaktion, hat bei Gottfried Kraus einst eine Vorlesung besucht und sich damals „hoffnungslos in kraus' Stimme verliebt“. In Wahrheit, so sagt sie, ist es anderes, was ihn auszeichnet: „Sein unglaubliches Wissen, gepaart mit Leidenschaft.“ Und Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler schätzt an Gottfried Kraus „seine Art der Musikvermittlung, die nicht belehrend ist, sondern inspirierend“. Als langjähriger Gast bei Kraus' jährlichen Präsentationen der jeweils neuen Wiederveröffentlichungen kennt man das Leuchten in seinen Augen, wenn er über diese Kostbarkeiten redet, zu denen er eine so innige Beziehung hat.

„Da die Herausgabe von Schallplatten jedoch nicht zu den Kernaufgaben der Festspiele gerechnet werden konnte, galt es eine Form zu finden, die Eigenverantwortung der Festspiele für die Auswahl der Tondokumente, für künstlerische und klangliche Qualität, aber auch für Text- und Bildmaterial mit dem entsprechenden Anspruch an Professionalität in Fertigung und Vertrieb zu verbinden.“

Dafür habe man eine neue Form der Zusammenarbeit mit der Schallplattenindustrie suchen, denn „bis dahin war das Verhältnis der Festspiele zur Schallplatte ein eher passives gewesen“. Die großen Labels, allen voran die DGG, prägten das Stadtbild, „die Festspiele selbst hatten darauf aber wenig Einfluss. Nicht zuletzt den Künstlern zuliebe wurden Übereinstimmungen zwischen dem gerade aktuellen Schallplattenrepertoire und den Programmangeboten der Festspiele eben in Kauf genommen. Vor allem Herbert von Karajan hatte daraus ein System gemacht. Er liebte es, Opern – aber auch die Konzertprogramme seiner Berliner Philharmoniker – zuerst im Studio zu erarbeiten, um sie dann in Salzburg zu Ostern wie im Sommer in schallplattenreifer Perfektion abzurufen.“

Die Festspieldokumente spiegeln in diesem Sinn auch ein gutes Stück Mediengeschichte. Längst bietet die Reihe ja nicht nur Historisches. Zu den neuen CDs dieses Jahres gehören nicht nur ein Klavierabend von Arturo Benedetti Michelangeli (1965), ein Liederabend mit Grace Bumbry (1965) oder ein „Titus“ unter Levine (1977), sondern allerhand Brandaktuelles aus dem Vorjahr, von Gounods „Faust“ über „Die Liebe der Danae“ und „Manon Lescaut“ (mit Anna Netrebko), ein Muti-Konzert und die „Missa Salisburgensis“ von der letzten ouverture spirituelle. Und noch manch anderes Lohnendes, so ziemlich alles von Gottfried Kraus selbst gehört und handverlesen.

Bild: Salzburger Festspiele / Anne Zeuner

 

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