Verschwiegene Opfer – verschwiegene Retter

HINTERGRUND / STOLPERSTEINE

13/07/15 Der Künstler Gunter Demnig hat bislang 268 Stolpersteine in der Stadt Salzburg verlegt. Heute Montag (13.7.) und morgen kommen weitere dazu. Erstmals wird ein Stolperstein für einen Fluchthelfer verlegt, Pfarrer Franz Zeiss von St. Andrä. Ihm war es gelungen, einen jungen Menschen jüdischer Herkunft vor der Verfolgung durch das NS-Regime zu retten.

Von Gert Kerschbaumer

Franz Zeiss, 1892 in Altenmarkt im Pongau geboren, wurde im Kriegsjahr 1915 zum Priester geweiht und wirkte seither in der Stadt Salzburg als Religionslehrer, Präses des katholischen Gesellenvereines und als Seelsorger. Seit dem Jahr 1934 war er Stadtpfarrer der Pfarre St. Andrä. Der legendäre Franz Wesenauer (Jahrgang 1004) war in der Zeit des NS-Regimes in dieser Pfarre Kooperator.

Die schweren Zerstörungen durch Luftangriffe gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, wovon auch das Andräviertel mit seiner markanten Kirche betroffen war, haften noch im kollektiven Gedächtnis der älteren Generation. In Vergessenheit gerieten hingegen die lebensrettenden Fluchthilfen der beiden Priester Zeiss und Wesenauer und der ihnen vertrauten Familien, die hierzulande zu den wenigen „Gerechten“ zählen.

Unter dem NS-Regime war die römisch-katholische Kirche im „Gau“ Salzburg mit dem aggressiven Antiklerikalismus des Gauleiters und Reichsstatthalters Dr. Friedrich Rainer konfrontiert. Rainer fungierte zudem seit Kriegsbeginn im Wehrkreis XVIII als Reichsverteidigungskommissar. In dieser Funktion gab er am 11. März 1940 der Polizei die Weisung zur Durchsuchung aller Pfarrämter nach Feldpostadressen von Soldaten des Wehrkreises XVIII (das Sammeln dieser Adressen zwecks Versendung religiöser Schriften war den Pfarren aus „Abwehrgründen“ untersagt). Die Geheime Staatspolizei musste allerdings feststellen, dass ihre Geheimaktion in den Pfarrämtern auf wenig Überraschung stieß. Sie waren durch Informationen eines Beamten der Polizeidirektion vorgewarnt. Der Polizeibeamte hieß Maximilian Klimitsch. Er und seine Ehefrau, beide katholisch, hatten sich ihrem Pfarrer Franz Zeiss anvertraut. Dieser hatte daraufhin die Pfarrämter unterrichtet. Pfarrer Zeiss und das Ehepaar Klimitsch wurden noch im März 1940 von der Gestapo verhaftet. Polizeiwachtmeister Klimitsch, den das „Oberste SS- und Polizeigericht München“ wegen Verrates eines Staatsgeheimnisses zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilte, kam im September 1944 in einer Strafeinheit der SS zu Tode. Seine im Zuchthaus Aichach inhaftierte Ehefrau Angela überstand die Terrorjahre.

Der am 13. März 1940 verhaftete Pfarrer Franz Zeiss wurde im Februar 1941 vom Polizeigefängnis in das Gefangenenhaus des Landesgerichtes überstellt und am 12. Juli 1941 durch das „Oberste SS- und Polizeigericht München“ wegen der Nichtanzeige eines Geheimnisverrates – der Pfarrer hatte seine Informanten, das Ehepaar Klimitsch, nicht denunziert – zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafe war durch die 16-monatige Untersuchungshaft verbüßt, weshalb der Pfarrer das Gefangenenhaus verlassen durfte, allerdings in den Terrorjahren observiert wurde, dokumentiert durch den Vermerk „Pol. Liste“ (Verzeichnis der Gestapo) auf seiner Personenkarte im Polizeimelderegister. Erst vor diesem Hintergrund können seine Zivilcourage und Menschlichkeit in gebührender Weise gewürdigt werden.

Pfarrer Zeiss sah sich nach seiner Haftentlassung vor eine weitere Herausforderung gestellt: Ein katholisch konvertierter Jude, Franz Leo Breuer, Jahrgang 1916, der wegen seiner jüdischen Herkunft im Jahr 1938 in Wien sein Jus-Studium abbrechen musste und im April 1942 in ein KZ deportiert werden sollte, konnte aus einem Wiener Sammellager flüchten und in Salzburg dank der Hilfe des Pfarrers Zeiss die Terrorjahre im Verborgenen – als „U-Boot“ – überstehen. Zeiss erinnerte sich 1975, drei Jahrzehnte nach der Befreiung:

... Obwohl ich damit meinen Kopf riskierte, musste ich mich um ihn kümmern. Vorerst nahm sich seiner der Inhaber des kleinen Gasthofes „Zur Schranne“ an, der ihn ohne Karte auch verpflegte. Damit es nicht auffiel, wechselte Breuer verschiedentlich zwischen Salzburg und Bad Ischl, wo er bei einer bekannten Dame vorübergehend untertauchen konnte. Ischl wurde gewählt, weil auf der damals noch verkehrenden kleinen Lokalbahn mit ihren vielen Haltestellen einer Militärstreife leichter zu entwischen wäre. Später setzte sich Breuer in ein mehr ländliches Gebiet in die Gegend von Grafing und Ebersberg in Bayern ab. Er kam aber dann wieder nach Salzburg zurück und fand Unterschlupf bei einer Frau in Salzburg-Itzling. Mit Lebensmitteln u. a. versorgte ihn zum Teil meine damalige Pfarrschwester von St. Andrä in Salzburg, Dr. Sieglinde Rödleitner. Als auf Grund der Bombenschäden eine Kommission nach brauchbaren Zimmern suchte, wäre er beinahe entdeckt worden. Schließlich konnte er doch bis ans Kriegsende durchgebracht werden. Er war allerdings dann mit seinen Nerven total fertig.“

Franz Leo Breuer konnte nach der Befreiung Österreichs sein Studium beenden. Er ließ zum Dank an seine Rettung an der Lourdeskapelle der Kapuzinerkirche in Salzburg ein Votivtäfelchen mit der Inschrift »Maria hat geholfen – Dr. Breuer Franz 1945« anbringen.

Er war nicht der einzige, dem Pfarrer Zeiss helfen konnte, wie aus einem Interview hervorgeht. Es gelang ihm überdies, die „Abstammung“ einiger gefährdeter Personen, die nach den Nürnberger Rassengesetzen als „Volljuden“ oder „Mischlinge“ galten, zu verheimlichen – lebensrettende Hilfen, die auf dem Sachverhalt beruhten, dass ein österreichisches Pfarramt in staatlichem Auftrag bis 1938 sogenannte Matrikenbücher zu führen hatte, in denen Geburten, Taufen, Trauungen und Sterbefälle einzutragen waren. In diesen Pfarrbüchern sind somit auch Konversionen oder Übertritte von Jüdinnen und Juden zum katholischen Glauben dokumentiert – unter dem NS-Regime von politischer Brisanz, da die Pfarrämter im Zuge der nationalsozialistischen Rassenpolitik verpflichtet waren, Matrikenauszüge für „Ariernachweise“ auszustellen, aus denen die „Abstammung“ hervorzugehen hatte. Anhand des Polizeimelderegisters zeigt sich allerdings, dass den NS-Behörden die jüdische Herkunft einiger Personen unbekannt blieb. Infolgedessen fehlt auf den betreffenden Personenkarten mit der betreffenden Rubrik der Vermerk „Volljude“ oder „Mischling 1. Grades“.

Bemerkenswert ist noch, dass sich Olga Zweig, die in Salzburg lebende Cousine des Schriftstellers Stefan Zweig, am 4. Juli 1942 in der Pfarre St. Andrä von Franz Zeiss taufen ließ. Zu diesem Zeitpunkt galt Olga Zweig, deren Vater Jude und deren Mutter Katholikin (ohne jüdische Wurzeln) war, allerdings schon als „Volljüdin“ (mit dem Zwangsvornamen »Sara«) – ein bewusst falscher Vermerk im Polizeimelderegister auf Hinweis der Gestapo. Olga Zweig überstand dennoch die Terrorjahre und dank ihrer Fürsorge und Verschwiegenheit auch ihr katholisch getauftes und behindertes Pflegekind Rudi, dessen jüdische „Abstammung“ der Gestapo gänzlich unbekannt blieb. Bis zum Jahr 1964 wohnten Olga Zweig und ihr Pflegekind im Haus Linzer Gasse 6, erste Etage.

Die Patenschaft für Prälat Franz Zeiss hat Landeshauptmann Wilfried Haslauer übernommen, Paten für fünf Terroropfer sind die Landesrätinnen Martina Berthold und Astrid Rössler sowie die Landesräte Heinrich Schellhorn, Josef Schwaiger und Christian Stöckl.

Der Text (hier gekürzt) findet sich auf der Homepage http://www.stolpersteine-salzburg.at/de/orte_und_biographien. Der Historiker Gert Kerschbaumer macht sich seit vielen Jahren um die Erforschung von Einzelschicksalen aus der Zeit des NS-Regimes verdient.
Bilder: www.stolpersteine-salzburg.at; Archiv der Erzdiözese Salzburg (1)

Das Personenkomitee Stolpersteine Salzburg mit seinen derzeit 325 Mitgliedern lädt morgen Dienstag (14.7.) um 10 Uhr zur Verlegung des Stolpersteins für Franz Zeiss vor der Kirche St. Andrä am Mirabellplatz.