Das letzte Opfer

HINTERGRUND / 4. MAI 1945

30/04/15 Die traurige Berühmtheit, die dem Dachauer KZ-Häftling mit der Nummer 66698 zukommt: Er wurde am 4. Mai 1945 im Volksgarten von SS-Männern erschossen und notdürftig verscharrt. Nur wenige Stunden später wurde die Stadt Salzburg durch US-Truppen befreit. Michael Chartschenko war das letzte SS-Opfer hierorts.

„Am Anfang des dritten Jahrtausends war das Opfer noch namenlos, bloß eine Nummer, die uns heute nichts sagt, in einer Zeit, in der wir von Nummern und Strichcodes überfüttert sind, eine Nummer, die bis zum Ende des NS-Regimes auf der gestreiften Häftlingskleidung stand, eine Nummer, die den Namen, die Individualität eines Menschen, die Einmaligkeit eines Lebens auszulöschen hatte.“ So der Historiker Gert Kerschbaumer auf der Salzburger „Stolpersteine“-Homepage über Michael Chartschenko.

Der damals, am 4. Mai 1945,Ermordete „hatte die Arbeitskommandos Schuttaufräumen, Bombensuchen und Entschärfen von Zeitzündern, somit das ‚Himmelfahrtskommando‘ überstanden hatte“ schreibt Gert Kerschbaumer, der so manchen noch am Beginn unseres Jahrtausends vergessene Lebensgeschichte von NS-Opfern ans Tageslich geholt hat. „Ein Tathergang mit starkem Machtgefälle ist anzunehmen: Bewaffnete in Uniformen des Staatsterrors einerseits, ein wehrloser Zwangsarbeiter in Häftlingskleidung andererseits, die Herren stehend, schießend und die Nummer fallend, liegend – Selbsterhöhung und Fremderniedrigung.“

Elf Wochen nach dem Mord wird die Leiche mit Einschüssen am Rücken, Kopf und Herz exhumiert, am 18. Juli 1945 auf dem Kommunalfriedhof, Gruppe 72, feierlich bestattet. Das Grab des – damals noch – namenlosen KZ-Häftlings, das in den ersten Jahren nach der Befreiung den überlebenden KZ-Häftlingen als Gedenkort diente, existiert nicht mehr- „Kein Grab und kein Name, doch die Identität eines Opfers lässt sich heute mit Hilfe der KZ-Gedenkstätten ermitteln“, so Kerschbaumer.

Der Leiter des Archivs der KZ-Gedenkstätte Dachau, Albert Knoll, konnte lediglich feststellen, dass der Häftling Nr. 66698, Michael Chartschenko, geboren am 20. Februar 1914 in Rubanowka, am 29. April 1945, dem Tag der Befreiung Dachaus, als befreit gegolten habe. Das heißt, dass von den später befreiten Orten wie Salzburg keine Todesmeldungen mehr im Konzentrationslager eintrafen.

Penibel registriert wurde im KZ Dachau hingegen der Tod von drei Häftlingen des Bombensuchkommandos Salzburg im November 1944: Martin Gay, Lech Manczak und Josef Bieronsky, die in der Dreifaltigkeitsgasse, in der Nähe des damaligen Hotels Münchnerhof, beim Entschärfen von Zeitzünderbomben zu Tode kamen. Von November 1944 bis Mai 1945 waren vermutlich 90 Häftlinge den Bombensuch-, Spreng- und Aufräumkommandos in Salzburg zugeteilt. Es gibt zwar Listen mit den damals geleisteten Arbeitsstunden, solche mit Daten und Namen der Häftlinge sind jedoch nicht mehr vorhanden. „Quellenlöcher, die sich auftun“ bedauert der Historiker Gert Kerschbaumer.

Unterdessen sind 21 KZ-Häftlinge aus Dachau, die in Salzburg zu Tode kamen, namentlich bekannt. Dazu eben gehört der Ukrainer Michael Chartschenko. Sein Name steht auf einem der ersten „Stolpersteine“, die der Künstler Gunter Demnig am 22. August 2007 in der Stadt Salzburg verlegte.

Zum Jahrestag der Befreiung Salzburgs gibt es also genau an dieser Stelle im Salzburger Volksgarten eine Gedenkstunde: Am Montag (4.5.) um 18.30 Uhr. Gert Kerschbaumer macht die historische Einführung, Gudrun Seidenauer hältz eine Lesung, die Musik dazu macht Stefan David Hummel von der Universität Mozarteum Salzburg an der Bratsche.
Der Dokumentartext über Michael Chartschenko: www.stolpersteine-salzburg.at
Bilder: Personenkomitee Stolpersteine (1); National Archive Washington (2)