„…7 Geschäfte und die Synagoge zerstört“

DOKUMENTATION / NOVEMBER-POGROM (2)

08/11/13 Morgen Samstag (9.11.) gedenkt man auch in Salzburg des November-Pogroms: Genau 75. Jahre ist es her, dass sich der vermeintliche „Volkszorn“ entlud. Es waren freilich nur Angehörige der SA, die da randalierten… – Eine Spurensicherung von Gert Kerschbaumer.

Von Gert Kerschbaumer

028Zweifel an der nationalsozialistischen Darstellung der November-Pogrome und an der kolportierten Ursachenkette sind berechtigt: Herschel Grynszpans Attentat am 7. November in der deutschen Botschaft in Paris und der Tod des deutschen Legationssekretärs vom Rath am 9. November 1938. Akkurat an diesem Tag feierten die „alten Kämpfer“ ihren gescheiterten Putsch von 1923 im Festsaal des Alten Rathauses in München. Am „Führertisch“ speisten Hitler, Goebbels, Göring, Heß und Himmler in Uniform und Stiefelhosen: Blumenkohlsuppe, Kalbs- oder Schweinebraten mit Schwenkkartoffeln, dazu Münchener Lagerbier oder Kurpfälzer Wein der Marke „Wachenheimer Hitzkopp“ – bloß ein „geselliges Zusammensein“, wie in der Einladung zu lesen? Gewiss ist, dass in der folgenden Nacht die Juden reichsweit den inszenierten „Volkszorn“ des Propagandaministers Goebbels zu spüren bekamen.

Die Zerstörung von Sachwerten, „deutschem Volksvermögen“, stieß allerdings nicht generell auf  Verständnis, was auch in den beiden Berichten des SD-Unterabschnittes Salzburg vom 10. und 11. November 1938 zum Ausdruck kommt:

„Im Laufe der Nacht des 10. 11. 38 kam es in Salzburg zu einer Zerstörung von Einrichtungsgegenständen in einer Reihe von jüdischen Geschäften und in der jüdischen Synagoge durch ungefähr 30–50 Personen, die wie bisher bekannt, fast sämtliche Angehörige der SA waren. […]“ (Gez. SS-Scharführer Dr. Lospichl)

035„Die nichtpolizeiliche Aktion gegen die Juden setzte in Salzburg zum Teil kurz nach Mitternacht, vorwiegend aber erst in den frühen Morgenstunden des 10. 11. 38 ein. Es wurden dabei in der Stadt Salzburg 7 Geschäfte und die Synagoge zerstört. Brandstiftungen erfolgten nicht. Die Täter dieser Aktion waren ausschließlich Formationsangehörige. Die Bevölkerung wusste von der ganzen Sache nichts. Die Verhaftungen durch die Polizei setzten um 6.30 Uhr schlagartig ein. Die Beamten der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle Salzburg, wurden durch Angehörige des SD und der SS, denen für diese Aktion die Befugnisse der Hilfspolizei gegeben wurden, unterstützt. Berichte über die Festnahme liegen vorerst nur aus der Stadt Salzburg vor. Vom Lande fehlen sie noch. Insgesamt wurden ca. 60 bis 70 männliche Juden verhaftet. Davon 41 in der Stadt Salzburg. […] Während die vorgenommenen Verhaftungen in weiten, auch n. s. gegnerischen Kreisen begrüßt werden und auf Verständnis stoßen, wird die Zerstörung der jüdischen Geschäfte mit dem Hinweis darauf, dass es sich dabei um Vernichtung deutschen Volksvermögens handelt, abgelehnt. […]“ (Gez. SS-Obersturmführer Persterer)

031Nicht die als Täter bezeichneten SA-Männer, sondern ihre Opfer wurden „schlagartig“ als „Schutzhäftlinge“ verhaftet, das heißt wie geplant, doch bestimmt nicht zum Schutz der Juden. Nicht deren Leiden, vielmehr der Raub ihres Eigentums als „deutsches Volksvermögen“ war für die SS und ihrem SD von Belang, weshalb sie für die Sachbeschädigungen wenig Verständnis hatten: sieben devastierte Geschäfte in Salzburg, vornehmlich in der rechten Altstadt und in der Neustadt, die beiden Geschäfte im Haus 030Linzer Gasse 28, Theodor Kurtz und Berthold Laufer, die beiden Geschäfte im Haus Linzer Gasse 5, Geschwister Arthur Fürst und Martha Stein, das Schuhhaus des Hugo Singer in der Dreifaltigkeitsgasse, das Wäschegeschäft der Anna Pollak in der Rainerstraße und das Antiquitätengeschäft des Ehepaares Bela Baruch und Therese Spiegel in der Getreidegasse, überdies die Synagoge in der Lasserstraße, ebenfalls schwer beschädigt, wobei der Verlust von Kultusgegenständen die religiösen Juden besonders schmerzt und die Beschlagnahme der Matrikenbücher, die nach wie vor als verschollen gelten, die Shoah-Forschung vor Probleme stellt.

Längst bekannt ist, dass der Pressefotograf Franz Krieger die Demolierungen samt Schaulustigen dokumentierte, daneben ein wenig beachtetes, aber bedrängendes Motiv: Auf einem Foto, das Franz Krieger im Garten der verwüsteten Synagoge schoss, ist ein jüdischer Gebetsschal mit einem aufgesteckten Gebetsbuch zu sehen, offensichtlich ein Grabkreuz darstellend – Tod den Juden. (Wird fortgesetzt)

Gert Kerschbaumer ist Mitglied des Personenkomitees Stolpersteine-Salzburg und des Projektes Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus

Bilder: Stadtarchiv Salzburg, Fotoarchiv Franz Krieger
Zum ersten Teil der Folge Einige Namen von den "Judenlisten"