Der Rollstuhl gibt das Maß vor

HINTERGRUND / SOZIALER WOHNBAU

24/04/13 „Es ist Zeit zu einem Umdenken – Strukturen, die jahrelang gegolten haben sind zu hinterfragen“, sagt Karl Thalmeier, der Vorsitzende der „Initiative Architektur“ zur aktuell aufgeflammten Diskussion über Wohnbau und Leistbarkeit.

Von Reinhard Kriechbaum

079„In der derzeit geführten Diskussion über leistbares Wohnen darf der Qualitätsanspruch nicht verloren gehen“, so der Architekt, der wie viele seiner Zunft darüber klagen, dass nicht zuletzt eine Fülle von allgemein verbindlichen Auflagen dazu geführt hätten, dass Wohnbau – und damit das Wohnen – immer teurer werde. Das ist nicht nur in Salzburg so.

In Salzburg wurden die Mittel für die Wohnbauförderung seit vierzehn Jahren nicht mehr erhöht. Die Baukosten sind freilich entsprechend der allgemeinen Teuerungsrate gestiegen. „Viele Jahre hindurch wurde dies durch die Zusatzförderung über die sogenannten ‚Wärmepunkte‘ ausgeglichen“, erklärt Thalmeier. Wer Energieverbrauch senkt, bekommt zusätzliche Förderung. „Der Baukostenindex ist aber zwischenzeitlich derart gestiegen, dass die Kosten durch diese Zusatzförderung nicht mehr ausgeglichen werden können.“

Was also tun? Karl Thalmeier sieht wie viele seiner Kollegen einen Wust baulicher Vorschriften. Sie sind strikt einzuhalten, wenn der Bauträger in den Genuss von Förderungen kommen will. Eine dieser Bestimmungen, die Thalmeier in Frage gestellt wissen will, ist das behindertengerechte Bauen. „Zur Zeit sind sämtliche Mietwohnungen rollstuhlgerecht auszubilden. Das bedeutet, dass der Wenderadius des Rollstuhles die Flächenerfordernisse innerhalb einer Wohnung definiert: breite Gänge, sehr große Bäder, sehr große Schlafräume.“ Der Platz geht auf Kosten der Wohnräume.

Die Einkommenssituation insbesondere von jungen Mietern sei in vielen Fällen schlecht. Thalheimer sähe die Option, nicht alle Wohnungen rollstuhlgerecht zu bauen. So könnten Wohnungsgrößen bei gleicher Qualität verkleinert werden, die Miete würde günstiger.

Aber werden wir nicht alle älter, viel älter sogar, ist nicht die Wahrscheinlichkeit, eine behindertentaugliche Wohnung zu brauchen, hoch? Da spricht Thalheimer sich für erhöhte Flexibilität auch des Wohnens aus. Er hinterfragt auch die Bestimmung, ob wirklich alle zwei- bis dreigeschossigen Wohngebäude mit einem Lift ausgestattet sein sollten. Derzeit muss es so sein.

Andere Überlegungen des Bau-Fachmannes, die Wohnkultur betreffend: Die „halböffentlichen Zonen“ zwischen Siedlungshäusern wirkten identitätsstiftend. „Sie sollten einen definierten Ort bilden und keineswegs nur als Abstandsflächen begriffen werden.“ Die Mittel für ihre Gestaltung und Erhaltung sollten vor Baubeginn sichergestellt werden. Auch sollten wieder alternative Wohnformen gefördert werden – Wohnen in der Gruppe, alternative Bauformen, nachhaltige Bauweisen.

Stichwort Nachhaltigkeit: Als Fachmann hat Karl Thalmeier größte Vorbehalte gegen die Dämmung, wie sie derzeit betrieben wird. In dreißig bis vierzig Jahren, wenn die jetzt allerorten applizierten Styroporplatten das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben werden, werde Sondermüll in Unmengen zu entsorgen sein. Auch gegen Kunststofffenster gebe es sachliche Einwände. „Die hochgedämmten, dichten Gebäude benötigen eine funktionierende Lüftung. Aus Kostengründen werden Lüfter in die Fensterprofile eingebaut, die einen Teil der Dämmungsgewinne wieder zunichtemachen.“

„Landschaft Lehen“ wird ein thematischer Schwerpunkt der Initiative Architektur Salzburg im frühsommer. Es geht um die Frage, wie vorhandene Grünflächen in dem angeblich so überdicht bebauten Stadtteil besser genutzt werden können. – Zum Veranstaltungsprogramm der Initiative Architektur - www.initiativearchitektur.at
Bild: Initiative Architektur / Jana Breuste