Was noch da ist und was fehlt

REPORTAGE / HAUPTBAHNHOF / JUGENDSTIL (2)

28/06/12 Unterwegs mit der Jugendstil-Kennerin Jana Breuste am Bahnhof: Da wird der Blick fürs Detail geschult. Denn nicht alles ist erst zur Jahrhundertwende entstanden. Der erste Bahnhofsbau stammte ja aus dem Jahr 1860.

Auf Veduten sieht man manchmal dieses „heimelige“ Bahnhofsgebäude, sozusagen in „Villenhausarchitektur“. Normal-Passagiere bekommen nichts mit vom jetzt bestens restaurierten Schmuckstück dieses ältesten Bahnhofsteils. Aber wer die VIP-Lounge ansteuert, kommt zwangsläufig durch das alte Stiegenhaus. Da hält man auch als eiliger Reisender unwillkürlich inne.

Wer den Blick dafür hat, dem fallen vielleicht auch die Metallsäulen am Bahnsteig eins auf. Auch die stammen noch vom ursprünglichen Bahnhof von 1860. Jana Breuste betrachtet sie ein wenig skeptisch und deutet auf die Sockelzone. Um den Reisenden mehr Komfort zu bieten, hat man jetzt den Bahnsteig deutlich erhöht. Die Basis der Säulen ist nicht mehr ganz sichtbar, sie sind „eingesunken“ in den Perron.

Der Jugendstil selbst: Da finden sich im und am Hauptgebäude Einzelheiten sonder Zahl. Die beiden auffälligen Beleuchtungskörper an der platzseitigen Fassade beispielsweise, oder auch die gusseisernen, verschlungenen Tragekonstruktionen fürs kleine Vordach entlang der Hauptfassade. Die Halle wirkt nicht zuletzt deshalb jetzt so neu und lichtdurchflutet, weil die originalen Fenster von Bahnsteigseite freigelegt sind. Edel wirkt darunter das Marmor-Gesims mit Uhr. Dass man mit Werbung jetzt deutlich zurückhaltender umgeht in der Bahnhofshalle, lässt die alte Substanz bestens wirken. Nicht zuletzt die Kachelbilder.

„Solche Salzburg-Veduten zierten auch die beiden Restaurants – eines für die erste und zweite Klasse, eines für die dritte - auf dem Mittelbahnsteig“, weiß Jana Breuste. Im neuen Buch über den Bahnhof (heute Donnerstag 28.6. vorgestellt, erschienen bei Pustet) sind einige historische Aufnahmen zu sehen. Es gab für die drei Klassen auch unterschiedliche Warteräume. Von all dem ist so gut wie nichts mehr erhalten. Allerdings: Der Kiosk mit den gerundeten Ecken, der dem Bahnhofsneubau hat weichen müssen, hatte bis zuletzt die originale Bausubstanz bewahrt. Das war einst der Wartesaal für die dritte Klasse.

Wesentlich umfangreicher als das Vorhandene ist eben das, was in den letzten Jahren dem Bagger zum Opfer gefallen ist. „Die Quer- und Seitenhallen sowie das Zentralgebäude mit noch bis zum Schluss erhaltenem Originalfassadenschmuck am ehemaligen Wartesaal III. Klasse und in Teilen erhaltenden Dachgeländern, die Jugendstil-Treppengeländer und die Eisenfachwerkkonstruktionen der Zollrevisionshallen nach dem Vorbild von Otto Wagners Stadtbahnhaltestelle am Karlsplatz“ – Jana Breustes Liste ist ellenlange.

Viel kostbares Jugendstil-Gut ist ja schon als Folge der Kriegs-Bombardements verloren gegangen. Die Stühle auf einem alten Foto – es zeigt einen Gastgarten am Mittelbahnsteig – hat Jana Breuste übrigens als jene identifiziert, die Josef Hoffmann für das Wiener Kabareett „Fledermaus“ erdacht hatte.

Stichwort „Marmorsaal“, über dessen kunsthistorische Bedeutung man natürlich geteilter Meinung sein kann: Eigentlich hätte er als geschlossenes Ensemble erhalten bleiben sollen, aber es sieht jetzt danach aus, als würden die ÖBB die Dinge separat versteigern, im Sommer in Linz. Der Verdacht liegt nahe, dass man so einen höheren Ertrag erzielen möchte. Mayr-Melnhof, der sich für den Marmorsaal als Ganzes interessierte, habe von der Versteigerung erst vor kurzem erfahren, hört man.

Jetzt lagern die Objekte in einem Depot in Bischofshofen. Aus dem Bestand von 1909 sind zumindest zwei Gemälde, nämlich von Hugo Baar, erhalten. Das hat Jana Breuste bei ihren Jugendstil-Forschungen herausbekommen. (Ende)

Bilder: dpk-krie
Zum ersten Teil der Serie Adieu, Mittelbahnsteig!
Zum Porträt Jana Breuste Jugendstil und Salzburg?
Zum Kommentar Verschenkt: Bahnhof mit Festungsblick
Zum Hintergrund-Text Wie es zur Abrissbirne kam
und Was noch da ist und was fehlt (Teil 2)