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Was da kreucht und fleucht

HAUS DER NATUR / LEBENS-GEFAHR?

30/11/10 Biodiversität. Ein recht abstraktes Wort für eine Sache, die eigentlich in aller Munde sein sollte. Es geht um die Artenvielfalt. Knapp zwei Millionen Tierarten kennen die Biologen, aber die Dunkelziffer ist hoch. Viele Millionen Tier- und Pflanzenarten sind vielleicht noch gar nicht entdeckt. Und sie sterben aus, bevor sie noch im Naturkunde-Lexikon stehen.

Von Reinhard Kriechbaum

alt„Lebens-Gefahr“, so heißt die neue Sonderschau. Das Haus der Natur löst damit wieder ein, dass eine solche Einrichtung längst nicht mehr „Fachmuseum“ ist, sondern unsere Umwelt, auch unsere Nöte mit ihr (und ihre mit uns) ganz unmittelbar spiegelt. Norbert Winding, der Leiter des Hauses der Natur, zeigt auf eine Projektionsfläche, wo man ob der ökologischen Katastrophen des Fürchten lernen könnte. Eigentlich zu fürchten ist auch die vorgeblendete Graphik. „Im Lauf meines Lebens hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt“, erklärt Winding. Er ist Jahrgang 1957. Im selben halben Jahrhundert ist die Zahl der Tier- und Pflanzenarten altgeschätzt um ein Drittel dezimiert worden. Die zugehörigen Diagramm-Kurven sehen dramatisch aus. Das Artensterben zur Zeit ist vermutlich nicht weniger dramatisch als zu jener Zeit, als die Saurier von der Bildfläche verschwanden.

Robert Lindner, im Haus der Natur für die Biodiversität zuständig, hat einige anschauliche Zahlen parat. Betrachte man die Weltgeschichte, erklärt er, „stirbt in jedem Jahrhundert eine Vogelart aus“. Seit dem Beginn der Neuzeit sollten also maximal sechs oder sieben Vögel endgültig vom Himmel verschwunden sein. Tatsächlich sind es seit dem Jahr 1500 genau 136. Bei den gefiederten Freunden haben die Biologen ganze Forschungsarbeit geleistet. Bei den Insekten (eine Million Arten) haben sie den Überblick nicht wirklich.

Der Artenreichtum ist statistisch eigentümlich: Säugetiere (Mensch inklusive) bringen es auf lausige 5.500 Arten, Vögel gibt es beinah doppelt so viele (an die 10.000). 47.000 Krustentiere (Krebse) kennt man. Die eine Million Insekten schlägt alles andere, was da kreucht und fleucht. Der liebe Gott war Käferfreund, könnte man meinen.

Ein Tier kommt selten allein. Nicht einmal ein scheues Reh. Es ist Quartiergeber für sechs weitere Tierarten, wobei die Zecken im Balg noch die angenehmeren Zeitgenossen sind. Den Leberegel sieht man nicht, altund altglücklicherweise auch nicht die Larven der Rachendossel. Das Reh im Haus der Natur kann man aber aufklappen, und dann entdeckt man die ekligen Mitbewohner. „Wildfleisch ist trotzdem gut“, sagt Norbert Winding unerschrocken und undogmatisch.

Früher hat man im Haus der Natur den „Gläsernen Menschen“ bewundert. Heutzutage geht es mit deutlich mehr High Tech zu. Eine Weltkugel entpuppt sich als Wunder der Video-Optik. Da lernt man nicht nur viel über Geographie, sondern man sieht auch, dass der Mensch auf der Erde, zu Wasser und zu Lande viel Unfug treibt. Die Flugbewegungen eines Tages wirken wie krabbelnde Ameisen auf der Erdoberfläche.

Unendlich viele Tierarten kostet unser - vorsichtig gesagt: sorgloser - Umgang mit der Natur das Leben. Endgültig. Der letzte österreichische Biber hat 1869 in der Antheringer Au sein Leben ausgehaucht. Er steht jetzt ausgestopft im Haus der Natur, so wie der letzte Bär auf Salzburger Boden, der 1838 geschossen wurde. Der Bartgeier ist wieder heimisch gemacht worden, sogar Wolf und Luchs tauchen (selten) auf in Österreichs Wäldern. „Und der Wolf klopft an“, freut sich Norbert Winding. Dafür haben die Bären gerade einen Durchhänger: Wenn einer ruchbar wird, dann kommt er garantiert in die Schlagzeilen der Zeitungen und tagelang in der „Zeit im Bild“ vor.

„Lebens-Gefahr? Die (un)erschöpfliche Vielfalt der Natur. – Sonderausstellung im Haus der Natur bis Frühjahr 2012. – www.hausdernatur.at
Bilder: dpk-krie (2); Haus der Natur (2)
Zum Kommentar {ln:Der Maßstab zwischen Kultur und Natur}

 

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