Kultur-Brücken in die Zeit danach

HINTERGRUND / CORONA-EINSCHRÄNKUNGEN

07/01/22 Die Erfahrung des letzten Jahres: In wenigen „Branchen“ ist die Solidarität mit den Gegen-Corona-Maßnahmen so hoch wie in der Kultur. Bei den Veranstaltern nicht minder als beim Publikum. Und doch gibt es sie natürlich, die Impf-Verweigerer aus welchen Gründen auch immer. Soll, darf man diese von der Kultur ausschließen?

Von Reinhard Kriechbaum

Da hat uns kürzlich die Newsletter-Abbestellung einer Dame erreicht, die in unserer „Branche“ tätig ist, als Tanzpädagogin. Sie „boykottiert“ alle Kulturveranstaltungen angesichts der Maßnahmen, schrieb sie lapidar. Auf unsere Rückfrage, ob sie sich mit diesem „Boykott“ bei der Kultur schon an der rechten Adresse wähne, schickte sie dann doch ein paar Erklärungen mit ihrer Sicht auf die Dinge nach. Wir ersparen unseren Leserinnen und Lesern hier die mehr als kruden, von Verschwörungstheorie-Glauben durchzogenen Argumente zur Impfverweigerung. Aber warum das „Kultur-Boykott“ ausgerechnet einer Kultur-Arbeiterin?

„Ich weiss, dass die Künstler und das Publikum froh sind, endlich wieder arbeiten zu dürfen“, schreibt die Dame. „Aber unter diesen Bedingungen erscheint mir die vermeintliche Freiheit, wie ein sonderbarer, in meinen Augen hilfloser in der Luft hängender Vogelkäfig zu sein... diese Vögel dürfen nur innerhalb eines sehr engen Rahmens ihre schönen, wenn auch hochkünstlerischen Flügel spannen.“

Kommt also nur eine willfährige Gruppe von Anpässlern in den Genuss der „hochkünstlerischen“ Flügelschläge? Wird ein Drittel des potentiellen Publikums ausgeschlossen? Darüber denken natürlich auch Kulturveranstalter nach. Etwa Verena und Leo Fellinger vom Emailwerk in Seekirchen. Die schrieben dieser Tage in ihrem Newsletter: „Wir können uns als öffentlicher Kulturverein und Veranstaltungshaus nicht über geltendes Recht hinwegsetzen, aber wir können … einen Diskurs über eine zutiefst ungerechte Ausgrenzung einer gesellschaftlichen Gruppe im Kulturbetrieb anregen. Und wir können versuchen, für all die Menschen, die uns und der Kultur seit Jahren die Treue halten und die jetzt wahrscheinlich kerngesund, aber corona-ungeimpft zu Hause weggesperrt sind, Brücken zu bauen. Digital und niederschwellig.“

Was also bieten sie an, um der vermeintlich "zutiefst ungerechten Ausgrenzung" gegenzusteuern? „Wir werden ab sofort für diese Gäste alle (streamingfähigen) Veranstaltungen kostenfrei streamen.“ Bei der Ticketreservierung hinterlässt man die Notiz Stream und dann kommt dreißg Minuten vor Veranstaltungsbeginn der Zugangscode. Die Pandemie habe „tiefe Brüche zwischen den Menschen erzeugt“, so die Fellingers. „Dieses Gegeneinander, das wir gerade erleben, ist das Gegenteil dessen, was Viele sich erhofft haben und an dem Viele gearbeitet haben: Eine 'inklusive' Welt.“ Eine solche sei dann verwirklicht, wenn jeder Mensch in seiner Individualität von der Gesellschaft akzeptiert werde und die Möglichkeit habe, in vollem Umfang an ihr teilzuhaben oder teilzunehmen. „Die Gesellschaft selbst entsteht aus den unermesslich vielen Ichs, die alle etwas Eigenes und Einzigartiges in die Waagschale werfen, und das einzelne Ich findet Anklang in einer Gesellschaft, die in ihren Institutionen, Gewohnheiten und Übereinkünften die Impulse, Ideen und Initiativen ihrer Mitglieder widerspiegelt.“

Da steckt freilich eine gute, aber weltfremde Portion Idealismus drin. Ob wirklich all den „einzigartigen Ichs“, die da Woche für Woche gegen die Maßnahmen demonstrieren und nicht vor unheilvollen politischen Allianzen zurückschrecken, die volle Teilnahme an der Gesellschaft gewährt werden muss? Aber natürlich steht es Kulturveranstaltern gut an, über die bedrohlich tief werdenden Gräben in der Gesellschaft und einen Brückenbau nachzudenken.

Mehr als bedenkenswert ist in dem Zusammenhang, was die Linzer Psychiaterin Heidi Kastner, Autorin eines Buchs mit dem Titel Dummheit, unlängst in Interviews mit dem Falter und dem Standard angesprochen hat in Sachen Direktiven und möglichen Sanktionen: Solche müssten diejenigen in Kauf nehmen, „die ein demokratisches System für Menschen vorsieht, die sich nicht an die Regeln der Gemeinschaft halten“. Man könne ja auch nicht „einfach jemanden umbringen und verlangen, dass das respektiert werden muss. Es gibt eben Grenzen.“

Das ist eine drastische Argumentation, aber plausibel insofern, als notorische Verweigerer auch Mit-Schuld tragen am Infektionsgeschehen und damit auch an der Mortalitätsratre. So weit hergeholt ist's also nicht.

Am besten beraten sind Kulturveranstalter wohl mit einem vernünftigen Schuss Pragmatismus. „Wir verstehen und akzeptieren, wenn jemand storniert, weil er oder sie nicht geimpft ist. Wir sind bei Storno weiterhin total kulant“, sagte die Leiterin der Philharmonie Salzburg, Elisabeth Fuchs, im November im DrehPunktKultur-Interview. Damit auch allfällige ungeimpfte und daher daheimgebliebene Eltern dabei sein und sich nach dem Konzert mit den Kindern über das Erlebte unterhalten können, gebe es Live-Übertragungen der Familienkonzerte. Das sei kein frei zugänglicher Stream, sondern ein Angebot für Leute, die tatsächlich Karten haben, aber nicht ins Konzert gehen können oder wollen, betonte Elisabeth Fuchs damals. „Man will das Familienkonzert ja als Familie erleben. Und wenn die Eltern die gleiche Vorstellung daheim am Bildschirm gesehen haben, gibt es danach eine Gesprächsbasis auf Augenhöhe.“ An dieser Schraube wurde inzwischen gedreht. Für die Dauer der Pandemie werden, so Fuchs, alle Konzerte aus der Großen Aula übertragen, aber nicht länger als reine Live-Streams, sondern auf Youtube in verbesserter Qualität: Das Angebot sei kostenlos, wie bisher schon für alle die eine Karte haben und nun auch für alle, die sich kostenlos online registrieren lassen. Sie verhalte sich neutral angesichts der Impfdebatte, betont die Dirigentin und Musikvermittlerin. „Wenn jemand wegen 2G nicht kommen will, überweisen wir bezahlte Beträge zurück. Wir halten das so einfach, wie nur möglich. Weil wir wissen, es gibt ein Danach. Wir können das Ganze nur bewältigen im Miteinander der Gesellschaft.“

Die Angebote im Emailwerk Seekirchen, online und im Stream – www.kunstbox.at
Bilder: dpk-krie (1); www.kremayr-scheriau.at / Philipp Horak (1); Philharmonie Salzburg / Erika Mayer (1)
Die DrehPunktKultur-Interviews mit Elisabeth Fuchs und Thomas Heißbauer
Wir sind Familie und … da würden alle davonlaufen...
Das Standard-Interview mit Heidi Kastner Man muss nicht jede Meinung wertschätzen
Buchtipp: Heidi Kastner, Dummheit, Verlag Kremayr-Scheriau
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