Sich geborgen fühlen oder verwöhnt werden?

INTERNATIONALE PÄDAGOGISCHE WERKTAGUNG

11/07/19 Was heißt Geborgenheit im Zeitalter von Likes- und Follower-Zahlen in den sozialen Medien? Nur eine Facette zum Thema Geborgenheit finden der 68. Internationalen Pädagogischen Werktagung, die am Mittwoch (10.7.) begonnen hat. Der Eröffnungsredner Joachim Bauer setzte im Säuglingsalter an.

Eröffnungsredner Univ.-Prof. Joachim Bauer (Berlin) machte dem Publikum aus neurobiologischer Sicht eindrücklich bewusst, dass Geborgenheit viel mehr sei als nur „heiße Luft“. „Geborgenheit mag weich und altmodisch anmuten, sie hat aber eine große Wucht“, so der Bestsellerautor. Joachim Bauer lebt und arbeitet in Berlin, wo er eine Gastprofessur innehat und als Dozent in mehreren Instituten sowie in eigener Praxis tätig ist. Er setzte beim Säuglingsalter an, denn – so der neurologe – was in der frühkindlichen Entwicklung passiert, habe Auswirkungen auf die Aktivität unserer Gene. Das erlebte Gefühl von Schutz und Geborgenheit spiele eine bedeutende Rolle.

„Unsere Gene sind die Klaviatur, auf der unsere soziale Umwelt spielt“, so Bauer. Die „Selbstnetzwerke“, die das Wesen eines Menschen definieren, müssten sich beim Säugling erst entwickeln. Die Kommunikation mit Neugeborenen passiert daher über Resonanz – die neuronalen Systeme des Kindes reagierten auf die Signale seines Gegenübers und umgekehrt. Nur wenn diese Phase durch Geborgenheit, Wohlwollen und eine positive Tonalität geprägt ist, lerne der Säugling, dass er angenommen und erwünscht ist. Studien zeigten, dass liebevolle Fürsorge das Gehirnwachstum fördert und der Mensch als „soziales Tier“ sehr früh die Qualität der sozialen Beziehungen wahrnimmt, in denen er sich gerade befindet.

Das wichtigste sei, Kindern in allen Altersstufen zu vermitteln: „Ich sehe dich.“ Nicht verwechselt möchte der Neurowissenschafter diese Haltung allerdings mit dem Verwöhnen wissen: „Verwöhnen ist das Gegenteil von Gesehenwerden.“ Den anwesenden Erziehenden gibt Bauer mit auf den Weg, durch ihre volle Präsenz, Leidenschaft und überzeugte Wertehaltung in den Kindern positive Resonanz auszulösen und sie in ihrer Entwicklung zu begleiten – auch bis in die Pubertät, wenn die Qualität der Beziehung von „sieh mich, bleib mir zugewandt“ meist erweitert wird um den Aspekt „leide an mir“.

Die Internationale Pädagogische Werktagung zum Thema Geborgenheit finden wird veranstaltet vom Katholischen Bildungswerk Salzburg in Kooperation mit der Caritas Österreich und der Universität Salzburg. Geborgenheit als relevantes Thema für Pädagogen jeder Altersstufe ist augenscheinlich, das war sogar aus den Grußworten am Eröffnungsabend abzulesen.

Landtagsabgeordnete Michaela Eva Bartel reflektierte die menschliche Suche nach Geborgenheit und hinterfragte die Auswirkungen der digitalen Welt und sozialer Medien auf das Selbstverständnis Heranwachsender. Wie ein Mensch durch andere wahr- und angenommen wird, würde in Zeiten von Likes und Followern zunehmend quantifizierbar und bedenklichen Druck ausüben. Stadträtin Anja Hagenauer nahm die Rolle von Krisenpflegeeltern in den Blick, die „Kindern Geborgenheit vermitteln, die zuvor in die Welt ‚geworfen‘ wurden“, abgelegt etwa in Babyklappen, und keinen Schutz durch ihre leiblichen Eltern erfahren durften. Ihr Anliegen sei es, diese notwendige Hilfestellung auszubauen.

Erzbischof Franz Lackner hat logischerweise andere Formen von Geborgenheit im Blick. Er skizzierte das Spannungsfeld zwischen dem Menschen in seiner Einzigartigkeit und seinem gleichzeitigen Streben nach einem Gegenüber, schließlich einer letzten Instanz. „Das macht den Menschen zu einem religiösen Wesen“, interpretiert der Erzbischof die Sehnsucht nach Geborgenheit. (IPW/dpk-krie)

Die Internationale Pädagogische Werktagung dauert bis morgen Freitag (12.7.), die Hauptzvorträge finden immer am Vormittag in der Großen Aula statt - www.bildungskirche.at/Werktagung
Bild: Katholisches Bildungswerk Salzburg