Von Roten Falken und Mühlsteinbüchereien

HINTERGRUND / KINDERFREUNDE / JUBILÄUM

27/06/18 2018 feiern die Kinderfreunde Österreich ihr 110-Jahre-Jubiläum. Auch die Kinderfreunde Salzburg haben etwas zu feiern: Vor siebzig Jahren wurden ihre Einrichtungen, die in der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmt worden waren, restituiert.

Von Reinhard Kriechbaum

Bei der Entstehung der Kinderfreunde 1908 drehte sich alles darum, den Kindern der extrem verarmten Tagelöhnern, Handlangern und Gelegenheitsarbeitern in der Monarchie Grundversorgung in Form von Kleidung und Nahrung, Stabilität und Geborgenheit, qualitätsvolle Betreuung, Bildung und einfach „Kind-sein“ zu ermöglichen. Bei 16-Stunden-Tagen, furchtbaren Wohnverhältnissen, Kinderarbeit, Krankheit und Elend wahrlich keine leichte Aufgabe. Die Arbeiterkinder wuchsen oft auf der Straße heran. Eltern hatten kaum Zeit für Erziehung.

Eine Initiative des Familienvaters, Tischlers und späteren Journalisten Anton Afritsch, der zunächst mit seinen eigenen Kindern im Grazer Volksgarten, der in der Nähe seiner Wohnung lag, die Freizeit gestaltete, fand innerhalb kurzer Zeit soviel Zulauf, dass im Jahr darauf, am 23. Februar 1908, rund fünfzig Eltern den „Arbeiterverein Kinderfreunde“ gründeten. Die erste Ortsgruppe entstand 1910 in Wien Floridsdorf. Im selben Jahr richtete man im steirischen Hörgas bei Gratwein eine Ferienkolonie für sechzig Kinder ein. 1918 zählte man bereits rund 10.000 Mitglieder in dreißig Ortsgruppen.

Zunächst zur Fürsorge für Arbeiterkinder gegründet, schaffte der Verein Spielsachen an und organisierte Märchenabende. Schnell wurde daraus die Idee, Kinder zu fördern und ihnen bessere Lebensmöglichkeiten zu bieten. Auch gesundheitliche Aspekte der Erziehung gewannen an Bedeutung. Zum Beispiel wurden Sommercamps organisiert, um Tuberkulose unter Kindern einzudämmen.

1925 wurden die „Roten Falken“ gegründet, zwei Jahre vorher schon der Verlag Jungbrunnen, der Spiele und Lehrmittel vertrieb. Die Renner schlechthin wurden für diesen Verlag „Das kleine Ich bin ich" und „Die Omama im Apfelbaum“ von Mira Lobe und Susi Weigel, „Valerie und die Gute-Nacht-Schaukel“ von Mira Lobe und Winfried Opgenoorth sowie die „Stanislaus“-Bände von Vera Ferra-Mikura und Romulus Candea.

In kirchlichen Einrichtungen für Jugendliche war damals noch die Prügelstrafe üblich, was die Kinderfreunde kritisierten. Koedukation und die Wochenendausflüge bei den Kinderfreunden, die dem Besuch des Sonntagsgottesdienstes entgegenstanden, erregten den Unmut kirchlicher Kreise. In einem Fastenhirtenbrief warnten die Bischöfe „eure Kinder teilnehmen zu lassen an Veranstaltungen gewisser Vereine, die es ausgesprochen darauf abgesehen haben, die Kinder immer mehr der Religion und Kirche zu entfremden […]. Diese Vereine veranstalten gemeinsame Ausflüge, Turnübungen und Tänze von Knaben und Mädchen und bereiten ihnen so die größten sittlichen Gefahren.“

Der Franziskaner Zyrill Fischer stellte 1926 seinem Pamphlet „Sozialistische Erziehung“ das Bibelwort „des göttlichen Kinderfreundes“ aus Mt. 18, 4-6 voran „…Wer aber einem dieser Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, dem wäre es besser, es würde ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er in die Tiefen des Meeres versenkt.“ Der Arbeiterzeitungs-Journalist Max Winter konterte, indem er Spenden sammelte und damit „Mühlsteinbüchereien“ gründete.

Im zunehmend antidemokratischen politischen Klima wurden bis Mitte Februar 1934 sämtliche Besitztümer der Kinderfreunde beschlagnahmt. Der Verein wurde aufgelöst, dessen Arbeit verboten. Im Untergrund kämpfte man weiter für das Kinderwohl. Nach Wiederbegründung der Kinderfreunde im Juni 1945 zählte der Verband schon 1946 wieder 36.019 Mitglieder in 286 Ortsgruppen.

Der erste Kinderfreunde-Verein in Salzburg wurde 1922 von Peter Brunner im heutigen Salzburger Ortsteil Liefering gegründet. 1926 wurde ein Spiel- und Sportplatz errichtet, in der Folge das erste Kinderfreunde-Heim. Vor siebzig Jahren wurde das Restitutionsverfahren für die Kinderfreunde Salzburg abgeschlossen, damals erhielt der Verein die Einrichtungen wieder zurück. "Rote Falken" gibt es in Salzburg erst seit drei jahren wieder.

„Die Lage in Österreich und Salzburg zeigt: Ein gerechter Bildungszugang, gesunde Ernährung, beste Betreuung, Mitbestimmung sowie Friedenserziehung und Gemeinschaft in Zeiten, in denen Feindseligkeit zwischen verschiedenen Gruppen herrscht, sind so wichtig wie eh und je“, so Landesvorsitzende Cornelia Schmidjell und Landesgeschäftsführerin Vera Schlager in einer Aussendung zum Kinderfreunde-Jubiläum.

sbg.kinderfreunde.at
Bilder: Kinderfreunde Salzburg