Was für ein Festspiel-Glück!

KOMMENTAR

Von Reinhard Kriechbaum

12/08/15 Das war Jahrzehnte lang nicht da: dass die Festspiele zwar noch mächtig „Parteienverkehr“ erzeugen, aber de facto Mitte August inhaltlich schon gelaufen sind. Dass man also eine halbe Woche vor Ferragosta schon Bilanz ziehen darf.

Alles neue Szenische ist nun auf der Bühne (oder, wie „Die Eroberung von Mexico“ und „Clavigo“, schon wieder vorbei). Was noch kommt, sind Wiederaufnahmen – des vorigjährigen „Rosenkavalier“ und der Gluck'schen „Iphigenie en Tauride“ von den Pfingstfestspielen. Beides programmierte Selbstläufer, so wie der „Trobadour“ mit Anna Netrabko, wie  auch die „Norma“, wieder mit der Bartoli. Dass man diese heuer in zwei Opern als Atout hat, beflügelt logischerweise den Kartenverkauf. Im Fall der „Norma“ hat sich die Wiederaufnahme nach zwei Jahren (die Produktion war zu Pfingsten und im Sommer 2013 im Programm) übrigens musikalisch über die Maßen bewährt. Es ist die bisher bei weitem rundeste Aufführung dieses Sommers.

Auf der Haben-Seite war auch Wolfgang Rihms „Die Eroberung von Mexico“ zu verbuchen, nicht zuletzt deshalb, weil Peter Konwitschny das doch reichlich prätentiöse Werk szenisch heruntergebrochen hat auf plausible „häusliche“ Szenen. Der „Fidelio“ in der szenischen Realisierung durch Claus Guth wiederum war immerhin ein ambitionierter Deutungsversuch. Genau das – interpretatorischen Ehrgeiz nämlich – kann man Sven-Eric Bechtolf nicht nachsagen: Sein „Figaro“ ist ein fröhlicher Besuch im Opernmuseum, ein Muster-Schaustück quasi im Post-Ponnelle'schen Geiste. Wollen eh die meisten Leute genau so haben.

Wie steht es überhaupt mit dem Geist dieser Festspiele? Er ist ein durch und durch gestriger, in der Oper derzeit so gut wie ausschließlich ausgerichtet auf Sänger-Kulinarik, programmatisch festgemacht an Werken, die sichere Quote bringen.

Wen kratzt schon die Bilderschieberei in „Il trovatore“, solange man den angenehmen Eindruck hat, dass auch von Alvis Hermanis luxuriös teuer gearbeitet wird? Vielen Gemütern kommt ja die nach wie vor primär festspielwürdig vor. Inhaltlich hat sich nichts getan bisher, was über die bloße Summe ordentlicher Aufführungen hätte hinaus gewiesen.

Vom Schauspielsektor ist wenig Erfreuliches zu berichten. Stephan Kimmigs und seines Ensembles „Clavigo“-Persiflage hätte ihren Platz besser auf der Schmuddelecke einer deutschen Provinzbühne gefunden (sie passt auch nicht ins Deutsche Theater Berlin, mit dem etwas pubertär hyperventilierende Aufführung koproduziert wurde).

Wenigstens Unterhaltungsanspruch hat auf der Pernerinsel Shakespeares „Komödie der Irrungen“ eingelöst. Von „Mackie Messer“, der – warum eigentlich? – ins Festspielprogramm geratenen „Salzburger Dreigroschenoper“, kann man gerade das nicht behaupten: Mit dem von Julian Crouch übereifrig ausgestatteten, aber absolut ambitionslos, in jede Richtung deutungsfrei inszenierten Stück (auch da hatte wieder der Interims-Intendant und Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf seine Hände im Spiel) kann man keinen Staat machen. Brecht ist andernorts schon mit weniger finanziellem Aufwand zu Tode gebracht worden. Bilanz: Die Konkurserklärung des Schauspiels bei den Festspielen ist unterschriftsreif.

Unaufdringlich fährt Florian Wiegand als Konzertchef einen guten Kurs unter so gut wie wolkenlosem Himmel: Inklusive „Ouverture spirituelle“ hat es in den knapp Wochen bisher noch keinen qualitativen Ausreißer nach unten gegeben.

Es ist also, dem Jahrlauf gemäß, Festspielzeit. Man macht Quote und schafft Umwegrentabilität, genau so, wie viele das von den Festspielen eben erwarten. Dass das funktioniert wie in der Spätzeit der Ära Karajan, verdankt sich wie damals dem Trägheitsmoment des Publikums: Viele freuen sich über die kulinarische Geradlinigkeit, über unbeschwerte Sommertage an einem schönen Ort. Dass man mit Inhalten oder gar Spiritualität bei den Festspielen derzeit nichts am Hut hat, wollen sie gar nicht wahrnehmen. Ein mordsmäßiges Glück für Salzburg.