asdf
 

Die Kirche im Dorf lassen!

GASTKOMMENTAR

„Warum so viele Fälle aus dem katholischen Bereich? Warum blieben sie so lange unter der Decke?“, fragt Rupert Klieber, der Stellvertretende Leiter des Instituts für Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Hier seine „Ausführungen über den historischen Hintergrund der aktuellen Serie aufge­deckter kirchlicher Missbrauchsfälle“.

Von Rupert Klieber

22/03/10 Meine Vergangenheit mit acht Jahren Ordensinternat und die Profession Kirchenhistoriker drängen mich zu Ausführungen über den historischen Hintergrund der aktuellen Serie aufge­deckter kirchlicher Missbrauchsfälle. Warum so viele Fälle aus dem katholischen Bereich? Warum blieben sie so lange „unter der Decke“?

Die erste Frage ist leicht beantwortet: Keine andere Institution hat sich bis in die 1980er Jahre so stark am Schulsektor engagiert wie katholische Diözesen und Orden. Schon aufgeklärte Monarchen des 18. Jahrhunderts verlangten von den Klöstern „nützliches Engagement“ (für Seelsorge, Schulen, Krankenpflege). Viele der heimischen Traditionsklöster eröffneten in Folge Schulen und Internate, die bis heute existieren. Erst recht zeigte die katholische Bewegung ab den 1860er Jahren ein enormes Engagement am Jugend- und Schulsektor: alte und neue Männerorden, vor allem aber neue Frauenkongregationen schufen beeindruckende Netzwerke der Kinder- und Jugendbetreuung, die von „Kleinkinderbewahr­anstalten“ über Waisenhäusern bis zu neuen Ordensgymnasien und Berufsschulen reichten. Sie widmeten sich nun verstärkt auch Mädchen (siehe Halleiner oder Vöckla­brucker Schulschwestern etc.).

Die meisten dieser kirchlichen Einrichtungen waren notgedrungen als Internate geführt, weil soziale Lage und fehlende Mobilität anderes nicht zuließ. Hunderttausende Jugendliche haben auf diese Weise Ausbildung und dadurch bessere Chancen im Leben erhalten! All das war getragen vom weitgehend selbstlosen Engagement Tausen­der Frauen und Männer, die ihr ganzes Leben – und oft auch ihre Gesundheit – praktisch um „Gotteslohn“ diesem Dienst an der Jugend geopfert haben. Die Blütezeit dieser kirchlichen Inter­nate umspannte ein gutes Jahrhundert und reichte bis in die 1980er Jahre. Erst dann hat eine neue staatliche Schulpolitik der Kreisky-Ära Schienen für eine flächendeckende öffentliche Versorgung mit höheren Schulen gelegt – gleichzeitig ließ der Priester- und Ordensnachwuchs drastisch nach.

Wo viel Licht, da viel Schatten!

Das große kirchliche Schulengagement hatte natürlich seine Schattenseiten. Viele der Erzieher und Betreuer wiesen keine oder eine nur unzureichende pädagogische Ausbildung auf. Religiöse Motivation hatte vielfach fehlende Professionalität zu ersetzen. Der bis in die frühen 1960er Jahre reichende „Boom“ an Priester- und Ordensberufen hat auch eine erkleckliche Zahl „krummer Seelen“ auf Positionen gebracht, für die ihnen Persönlichkeit und Reife fehlten. „Hausgestrickte“ Pädagogik regierte weitgehend das Feld, oft verbunden mit Körperstrafen überlieferten Musters. Das war freilich in anderen Bereichen der Gesellschaft bis in die 1950er Jahre nicht viel anders. Und dann gab es – angesichts der Größe des betroffenen Sektors und der Zahl involvierter Personen fast unweigerlich – Fälle von Übergriffen, die jetzt wie Eiterblasen aufbrechen. Jeder einzelne dieser Fälle ist einer zuviel! Überzogen und unangebracht wäre es aber, ganze Generationen von Lehrern und Erziehern beider Geschlechter jetzt pauschal ins Schmuddeleck zu stellen.

Damit zur zweiten Frage: Warum blieben die Täter so lange ungeschoren? Am wenigsten vorwerfen kann man den Eltern. Auch wenn sie Härten und Abgründe ahnten, sie hatten meist keine Alternativen für eine gute Ausbildung ihrer Kinder und ermutigten zum „Durchhalten“. Bleiben die kirchlichen Oberen. Die katholische Kirche ist grosso modo Ergebnis der großen Kirchenreform des Hochmittelalters. Deren programmatische Forderung lautete „Freiheit der Kirche“, sprich: Unabhängigkeit des Klerus von „weltlichem“ Einfluss (inkl. Ehe). Teil des Konzepts war das „privilegium fori“, d.h. eigene Gerichtsbarkeit und Disziplinarverfahren für „Kirchenleute“. Auch wenn die modernen Staaten dieses „Privileg“ längst gekappt haben, viele interne Regelungen, vor allem aber die Mentalität sind erhalten geblieben: Man hängt Vergehen eigener Leute nicht „an die große Glocke“ und „zerrt sie nicht vor weltliche Gerichte“. Sollte nun tatsächlich eine systematische Kooperation mit der weltlichen Justiz angepeilt werden, bedeutete das eine Trendwende nach eintausend Jahren!

Eine Geste doppelter Solidarität

Meine eigene achtjährige Internatszeit war beileibe kein reines Honiglecken. Zehnjährig in die raue Welt reiner Bubenhorden geworfen zu werden, nur alle paar Wochen nach Hause zu dürfen und ähnliche Unbill mehr waren nicht immer leicht zu verkraften. Auf der anderen Seite habe ich eine Reihe von geistlichen Lehrern und Erziehern erlebt, die sich weit über einen „Dienst nach Vorschrift“ hinaus in sportlicher, künstlerischer, menschlicher und spiritueller Hinsicht um uns bemüht haben und uns nicht so sehr „katholische Enge“ als „katholische Weite“ erleben ließen. Ihnen möchte ich auf diesem Wege ausdrücklich danken! Ihr großer Ein­satz verdient hohen Respekt und nicht, im Nachhinein pauschal ins schiefe Licht gerückt zu werden.

Alle ehemaligen „Internatszöglinge“ und Nutznießer kirchlicher Jugendarbeit, die wie ich vorwiegend positiv auf die betreffenden Jahre zurückblicken können, lade ich zu einer Geste der „doppelten Solidarität“ per „mouseclick“ ein: volle Solidarität und tiefes Mitgefühl mit unseren weniger glücklichen Schicksalsgenossen, die in den letzten Jahrzehnten im Umfeld katholischer Jugendarbeit zu Opfern gewalttätiger oder sexueller Übergriffe geworden sind! Zugleich unser ausdrücklicher Dank an die vielen Frauen und Männer in kirchlichen Einrichtungen, die sich mit großem Engagement und heute selten gewordenem Einsatz um die Ausbildung und Formung von Kindern und Jugendlichen bemüht haben und weiter bemühen!

Forum „Nutznießer kirchlicher Jugendarbeit“ www.petitiononline.com/ihs2010
Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Zum Feuilleton {ln:Andere haben sich schon früher erinnert}
Zur Hintergrundgeschichte {ln:Völlig durchgeknallt}
Zur Buchbesprechung {ln:Die Benedikt-Diät}

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014