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Postdemokratisches Zeitalter?

GASTKOMMENTAR

Von Hans Holzinger

04/01/13 Das Ansehen der Politik befindet sich im Sturzflug. Vier von fünf Österreichern gehen davon aus, dass dieses 2013 weiter Schaden nehmen wird. Von den neuen sich tummelnden Parteien sind bisher auch nur allgemeine Floskeln zu vernehmen. Steuern wir auf ein postdemokratisches oder – wie manche meinen – postrationales Zeitalter zu, in dem selbst Politik zur stupiden Unterhaltung verkommt?

Es wäre verkehrt, das Kind mit dem Bad auszuschütten. Not tut vielmehr, sich der Errungenschaften unseres Wohlstandes wieder bewusst zu werden. Die Zeiten der Knappheit sind überwunden. Wir können uns vieles leisten, was für unsere Vorfahren noch unvorstellbar war. Zugleich hat der materielle Wohlstand einen Ausbau der Sozialsysteme ermöglicht und wesentlich zur Stabilisierung der Demokratie beigetragen.

Dass wir all dies als selbstverständlich nehmen, mag zur aktuellen Krise der Politik beitragen. Anstatt einzustimmen in die allgemeine Politikerschelte, gilt es die grundsätzlichen Fragen wieder in den Blick zu nehmen. Denn unser Wohlstand wirft in der Tat Schatten. Die Mehrzahl der Menschen ist noch immer von ihm ausgeschlossen. Eine Milliarde Menschen leidet an Hunger. Unser Wohlstand basiert zweitens auf einer historisch einmaligen Ausbeutung der Natur und ihrer Ressourcen, er ist daher nicht nachhaltig. Drittens führt dieser Wohlstand auch bei denen, die er einschließt, nicht immer zu mehr Lebensqualität. Der Stress, hinauszufallen oder nicht mehr mithalten zu können, steigt bei den Unternehmen wie bei den Belegschaften. Das Konkurrenzprinzip pervertiert sich zu permanenter Ausschlussdrohung. Viertens funktioniert das System offensichtlich nur mehr mit eklatanter öffentlicher Verschuldung bei gleichzeitiger Anhäufung privater Vermögen. Weltweit gibt es fast 50 Billionen Dollar Staatsschulden. Zugleich parken Vermögende beinahe 12 Billionen Dollar in Steueroasen. Die weltweiten Staatsschulden haben sich innerhalb eines Jahrzehnts mehr als verdoppelt – ein wesentlicher Grund dafür liegt in der Finanzkrise von 2008/2009. Der Soziologe Ralf Dahrendorf spricht daher von „Pumpkapitalismus“. Überdies scheinen wir einem Wachstumszwang zu erliegen – ohne Wirtschaftswachstum gibt es keine Zukunft, so die Devise.

Die Erneuerung der Demokratie gelingt nur, wenn sie sich den zentralen Fragen des 21. Jahrhunderts stellt: Wie lässt sich eine Weltsozialpolitik angehen, die den Hunger überwindet und einen Ausgleich schafft zwischen Arm und Reich? Wie kann die Transformation hin zu postfossilen und CO2-armem Volkswirtschaften bewerkstelligt werden? Und wie kann das Gemeinwohl in den reichen Ländern weiterhin gesichert werden, ohne die öffentlichen Haushalte in den Schuldenbankrott zu treiben?

Notwendig sind eine global akkordierte Steuerpolitik, die dem Steuerwettlauf nach unten entgegenwirkt und Steueroasen austrocknet, sowie globale Regime für den Ressourcenverbrauch und die Umweltnutzung. Notwendig sind aber auch neue Bilder von Wohlstand jenseits des Konsumismus und eine Umsteuerung der Wirtschaft dergestalt, dass nicht mehr die Güterströme wachsen, sondern immaterielle Güter wie Bildung, frei verfügbare Zeit, menschliche Beziehungen und Chancengerechtigkeit. Märkte mögen einzelwirtschaftlich effizient sein, sozial und ökologisch sind sie blind – die Kaufkraft gibt die Richtung vor. Diesem Defizit kann nur durch Politik abgeholfen werden. Wir haben nicht nur eine Krise der Ziele, sondern auch eine Krise der Gestaltung. Daher brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Politik. Wir alle sind als Bürger und Bürgerinnen aufgefordert, uns einzubringen in die politischen Prozesse und Diskurse. Der Politik allein die Schuld zu geben an den aktuellen Krisen, spielt genau jenen in die Hände, die sich gegen Veränderungen wehren, weil sie vom jetzigen System zunehmender Ungleichheit profitieren.

Hans Holzinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Nachhaltigkeit, neue Wohlstandsmodelle, Zukunft der Arbeit und sozialen Sicherung, globale Gerechtigkeit. Vortrags-, Publikations- und Seminartätigkeit; Lehrauftrag an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt. Mitherausgeber der Zeitschrift "pro Zukunft". 2012 ist sein Buch „Neuer Wohlstand. Leben und Wirtschaften auf einem begrenzten Planeten“ (JBZ-Verlag) erschienen. - www.jungk-bibliothek.at

 

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