Wir auf dem Stammbaum der von Obenherabs

FEUILLETON

altVon Renate Ourth

24/12/10 Vielleicht war die Gesellschaft ja immer so: die Dummen haben die Gescheiten ausgegrenzt und ihnen den Namen Streber nachgeworfen, die Protestanten haben sich gegen die Katholiken abgegrenzt, die Reichen gegen die Armen, die Armen, gegen die noch Ärmeren, so dass die dazwischen zum Mittelstand wurden. Die Kranken hatte man vor die Stadtmauern geschafft,- lang, lang ist´s her -  da war die Grenze noch aus solidem Stein. Die guten Kommunisten haben sich gegen die bösen Wessis abgegrenzt und eine Mauer mitsamt Jagdständen und Hochsitzen erfunden, mit Hunden, Sirenen, Suchscheinwerfern und allem drum und dran.

Die Vätergeneration hat die Juden ausgegrenzt: aus den Augen aus dem Sinn. Wahnsinn.

Mich hat man aus der Tanzgruppe ausgegrenzt, weil wir fünf und nicht vier waren, und als ich älter wurde hab ich immer wieder diese Grenzen gespürt, des Dabei-sein-Wollens und Nicht-dabei-sein-Dürfens. Wo kämen wir denn hin, wenn ein Lion ein Rotarier und ein Bauernbündler ein Industriellenverbändler sein wollte! Die Adeligen, winken den Errungenschaften der Demokratie freundlich zu und hocken auf ihren Stammbäumen, ängstlich besorgt, dass einer von denen, die „ noch nicht mit Messer und Gabel essen“, den Stamm raufkriecht, um gemeinsam mit einer Angebeteten eine Banane zu verzehren.

In den letzten 30 Jahren sind noch welche in dieses Land gekommen, gerufen, oder aus freiem Entschluss oder um ihr Leben zu retten. Die Erde hat sie empfangen, die Pflanzen und Tiere auch. Die Mücken machten keinen Unterschied, sie stachen sie, wie sie uns stechen. Sie waren ihnen willkommen. Sie kamen in ein Land, in ein freies Land, doch die 3D-Brille hatten sie vergessen. So sahen sie die vielen kleinen Grenzen nicht. Immer wieder wenn sie einen Schritt vor den anderen setzen wollten, standen sie vor einer Mauer. Sie gingen ein paar Schritte zurück und noch weiter zurück, beschämt, um irgendwo ein Plätzchen zu finden, wo sie keinen störten.

Die, die keinen Platz frei machten, die, die ihre Wohnungstüren verschlossen hielten,- die schließlich ihre Grenze markierte!- rührten sich nicht. Sie waren auch ein wenig beschämt, dass sie diesen Nachbarn kein Ansehen entgegen bringen konnten und fröhlich mieden sie jeden Kontakt. Man brauchte diese Menschen ja, damit „gewisse“ Arbeiten verrichtet würden. Man teilte mit ihnen den Himmel und die mehr oder wenig gute Luft und das war‘s, um den Rest kümmerte sich der Staat.

Doch dann kam alles anders.

Die in den Wohnungen heimisch saßen, fühlten sich eines Tages gequetscht. Die Wände waren noch da, wo sie zuvor waren, doch sie fühlten sich gequetscht. Die von Draußen hatten aufgehört sich zu verstecken, sondern standen frech auf der Straße herum. Auch ihre Kleidung war frech, nämlich vorwiegend schwarz. Kaum, dass einmal eine graue Kappe auszumachen war, viele schwarze Männer standen und stehen auf dem Stephansplatz, auf den Bahnhöfen und allen Plätzen Österreichs, während all die, die ihre Zugehörigkeit zu irgendeinem Club zumindest durch eine Anstecknadel beweisen konnten, arbeiteten. Die Augen der Golfer begannen zu stechen, doch das war noch nicht das Ende von Schwarz. Bald schon musste man Frauenbilder hinnehmen von oben bis unten in schwarz. Sich auszumalen, was sich unter diesen schwarzen Hüllen abspielen würde, war keine angemessene geistige Beschäftigung für einen Clubler. Und so kam es, dass sich immer öfter der Wunsch regte, diese Vorhänge abzureißen. Ja, wir Kulturmenschen – da hielt uns auch kein Mozart zurück - hatten solche Träume. Reine Selbstwehr war das, die Frauen zu nötigen, das Zeug abzumachen. Man  behauptete, die, denen man das Ansehen verwehrte, ansehen zu wollen.

Die eigenen Urgroßmütter und Großmütter in ihren Kopftüchern waren vergessen und man begann gegen das Hämmern im eignen Kopf anzuschreien und immer öfter formulierte sich das Wort Integration. Diese frechen Menschen, wenn sie schon da waren, sollten sich wenigstens integrieren!

Wohinein, in welche Gruppe, das sagte keiner. Wo immer sich eine Gruppe auftat, am Arbeitsplatz, im Kindergarten, in der Schule, hatten sich diese Menschen längst integriert. Ohne Folgen, die Wohnungen der heimischen Insulaner blieben verschlossen. Selbst wenn eine Frau kein Kopftuch trug, unsere Feste ließen wir sie nicht mitfeiern. Wie kann einer sich integrieren, wenn er ausgegrenzt ist? Integration ist bei Gott und Allah doch nicht nur Bringschuld!

Könnte ich mich denn auf den Stammbaum der von Obenherabs schwingen, wenn mir die Banane nicht gereicht wird? Und wenn mir keiner vertraulich raunend das Ohr wärmt, um mir eine begehrte Clubnadel anzustecken, nützt mir auch nicht, wenn ich noch so heftig die Flügel reibe.

Ich schlage vor: Wir verzichten darauf, so verlogen zu sein und unseren gedemütigten von anderen Ländern kommenden Mitmenschen auch noch Vorwürfe zu machen und versetzen uns aufrichtig in die Vorstellung, die rumänischen, türkischen, afrikanischen, ... Nachbarn könnten eines Tages so gut deutsch sprechen, wie wir das von ihnen fordern, laden wir sie dann ein?

Die Beherrschung der deutschen Sprache wird eine der vielen Innengrenzen passierbar machen: Die Grenze zum Arbeitsplatz wird aufgehen. Heißt das, dass sich gesellschaftliche Prozesse gravierend ändern werden? Was, wenn sich die von der Gesellschaft Ausgegrenzten aus Selbstschutz ihrerseits noch weiter abgrenzen? Die Kopftuchträgerinnen könnten sich vermehren und unsere Köpfe werden analog dazu weiterhin negative Bilder auswerfen. Ja und dann?

Aus den Augen aus dem Sinn?! Wahnsinn?! Wir sollten jederzeit Respekt vor dem haben, wozu wir fähig sind.

Draußen schneit es, meine Türe ist fest zu. Alle unangenehmen Gedanken sind an die Politik abgewälzt – haben die nicht dafür zu sorgen, dass wir uns wohl fühlen, in unserem Land? Rentiere, Weihnachtsmänner, Weihnachtszwerge, Engel, Rehe, Vögel in verschneiter Landschaft ... das Christkind scheint von den Weihnachtskarten verbannt. Bravo! Wenn das so weiter geht, kommen wir die ganze Vorweihnachtszeit ohne einen Gedanken an das Christkind zu verschwenden durch. Und immer dieses Wünschen, wie anstrengend. Könnten wir doch wieder unsere Wünsche direkt an das Christkind schicken!

Ich weiß schon, was ich mir wünschen würde: ein Herz, dass sich so auftut, dass ich ein, zwei, drei meiner ausländischen Nachbarn hereinlasse in meinen Bunker, um mit ihnen zu feiern.