Schlendern

STICH-WORT

altVon Christina Repolust

07/04/10 Wer schlendert, trägt meistens eine Sonnenbrille. Flip-Flops sind die ideale Fußbekleidung zum Schlendern, in Bergschuhen wirkt diese Gang- bzw. Tagesabschnittsgangart nicht nur unelegant, sie wirkt unpassend, wie ein falsch gesungener Ton oder ein Handy im Konzert. Wer schlendert, trägt also Sonnenbrille, Sonnenhut und eine Tageszeitung, vielleicht auch ein Trend-Magazin, erstere Accessoires am Kopf, die Medien unterm Arm, genauer unterm linken Arm. Das Schlendern hat ab Frühlingsbeginn - trockene Straßen, Plätze und Wege vorausgesetzt - Saison. Es wird losgeschlendert, sobald es Zitroneneis gibt, das niemals Wegzehrung, sondern bloß fruchtiges Vergnügen ist.

Wer schlendert, trägt niemals schwere Einkaufskörbe mit Kartoffeln, selbst wenn diese „bio“ sein sollten. Wer schlendert hat keinen Termin. Na ja, vielleicht einen Kontrolltermin beim Zahnarzt in drei Monaten, aber keine Verabredung mit einer Stechuhr, keine Verpflichtung, die kleine Tochter vom Hort, den kleinen Sohn vom Kindergarten abzuholen oder sogar beides nacheinander „auf die Reihe kriegen“ zu müssen.

„Immer dieser Schlendrian“, schimpfte meine Mutter und gab so jenen Menschen, denen ich so gerne zuschaue, einen Namen. Bald werde ich mitschlendern, ich muss jetzt aber wirklich noch die Kartoffeln, bio und aus dem Lungau - besser geht es kaum! - kaufen, dann bin ich dabei.

Übrigens: Ich kann nur in der Ebene schlendern, bergauf (ich komme aus Lienz/Osttirol) ist diese Gangart nicht möglich. Als ich vor fünfundvierzig Jahren ein Kind war, sind Touristen durch Lienz geschlendert, es waren wenige und ich habe sie alle gegrüßt. Wir nannten sie damals „Fremde“. Heute heißen sie Touristen und trotten missmutig und stumpf über die Plätze, vielleicht sollten die Einheimischen sie doch wieder persönlich begrüßen. Aber wer grüßt schon jemanden von Herzen, der in Jogging-Hosen durch sein als Heimat vorreserviertes Gelände trampelt? Wer Jogging-Hosen trägt, hat längst seine Phantasien darüber, wozu seine/ihre Hüften fähig sind, in der Gemütlichkeit des Gummibundes ertränkt: Lasziv aus der Hüfte heraus schlendern macht den Kopf frei. Man erfindet sich für diesen Tag noch einmal neu.

Alltagstrott und Schlendrian wohnen nebeneinander im Mehrfamilienhaus. Schlendrian fürchtet Alltagstrott und Alltagstrott macht Schlendrian bei den Menschen schlecht: Er behauptet, Schlendrian sei der Anfang vom Ende.

Schlendrian, warte auf mich! Bestell mir schon den Espresso, beim schnellen Ober, nicht beim langsamen! Ich muss mich noch ein bisschen wach-schlendern, mutig-schlendern, heiter-schlendern.