Schule von Athen

STICH-WORT

30/06/20 Es entbehrt ja nicht einer gewissen Pikanterie: Auf der Website des Volksbegehrens Ethik für Alle dient Raffaels Fresko Die Schule von Athen als Illustration. Worum es den Initiatoren des Volksbegehrens, das zum Wochenende bereits 50.000 Unterstützungserklärungen fand, geht: Den Primat des konfessionellen Religionsunterrichts zu brechen.

Von Reinhard Kriechbaum

Wo befindet sich Raffaels Meisterwerk, das Platon und Aristoteles mitsamt ihren Vorläufern und Nachfolgern zeigt? In den Stanzen des Vatikans, also den Privaträumen von Papst Julius II. Dieser Papst hat unter anderem den Bau des Petersdoms als Vorzeige-Kathedrale der christlichen (bald drauf nur mehr der katholischen) Welt auf Schiene gebracht.

Dort, in der Stanza della Segnatura (es war der Raum, wo der Papst alle wesentlichen Dokumente unterzeichnete) steht das imposante Fresko mit anderen Werken, etwa der Disputa des allerheiligsten Sakramentes und den Kardinals- und Gottestugenden in einem inhaltlichen Zyklus. Ja, im geistlichen Rom der Renaissance standen auch Philosophie und Ethik der alten Griechen, die an viele Götter glaubten, durchaus hoch im Kurs.

Nicht viel anders argumentiert die Österreichische Bischofskonferenz, die wenig wissen will von Ethik für Alle, dafür umso mehr einverstanden ist mit dem Gesetzestext in Sachen Ethikunterricht, wie er derzeit zur Begutachtung vorliegt. Die Lehrpläne des katholischen Religionsunterrichts zeigten im Vergleich mit den Lehrplänen des Schulversuchs Ethik, „dass alle Themen, die im Ethikunterricht behandelt werden, seit langem ebenso Thema im Religionsunterricht“ seien. Beispielhaft werden in der Stellungnahme der Bischofskonferenz die Auseinandersetzung mit Grundfragen des menschlichen Lebens, mit Menschen- und Persönlichkeitsrechten, die Beschäftigung mit anderen Kulturen und Religionen, die Erziehung zu autonomer Urteilsfähigkeit sowie der Umwelt- und Klimaschutz angeführt; weiters sozial- und wirtschaftsethische Fragestellungen, sowie die Förderung der allgemeinen Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler. Kurzum: Plato, Aristoteles und Konsorten schauen auch im konfessionellen Religionsunterricht beständig über die Schulter.

Freilich begrüßt man die Einführung eines Pflichtgegenstandes Ethik für alle Schülerinnen und Schüler, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen, denn allen Schülerinnen und Schülern ethische Bildung zu vermitteln, sei eine „Kernaufgabe der österreichischen Schule“. Die Bischofskonferenz hält fest, dass „die mehr als zwanzigjährigen Erfahrungen aus dem Schulversuch Ethikunterricht zeigten, dass sich in der Sekundarstufe II genau jene Unterrichtsform bewährt habe, die nunmehr ins Regelschulwesen übernommen werden soll“. Schülerinnen und Schülern, die sich vom konfessionellen Religionsunterricht abgemeldet haben, sowie solchen ohne religiöses Bekenntnis, die sich nicht zum Religionsunterricht als Freigegenstand anmelden, würden im Ethikunterricht Zugänge zu ethischer Bildung ermöglicht.

Im Religionsunterricht würden diese Themen aus einer "transparent kommunizierten und konkreten, in der religiösen Zugehörigkeit wurzelnden Perspektive" vermittelt. Gleichzeitig erfolge eine Erörterung im Kontext verschiedener anderer religiöser und weltanschaulicher Positionen. Diese „vernunftgeleitete Auseinandersetzung“ mit ethischen und religiösen Lehrinhalten ermögliche es den Schülerinnen und Schülern zudem, sich mit ihrer eigenen Identität auseinanderzusetzen. Der Religionsunterricht initiiere Reflexion und Diskurs und rege Schülerinnen und Schüler zu selbstständigem und kritischem Denken an. Er leite sie zudem zu einem religions- und pluralitätssensiblen Umgang mit verschiedenen ethischen Positionen und mache sie auf diese Weise diversitätsfähig.

Eines der wesentlichen Bildungsziele des Religionsunterrichts sei es, „Orientierung für eine gelingende Lebensführung und ethisches Handeln zu vermitteln“. Ethik- und Religionsunterricht könnten einander in einer konkreten Zusammenarbeit an den einzelnen Schulstandorten gezielt ergänzen, heißt es in der Stellungnahme weiter. Die Anerkennung und Diskussion verschiedener, teils komplementärer Zugänge zu ethischer Bildung im schulischen Kontext sei Zeichen eines pluralitätsfähigen Staates. Durch die im vorliegenden Entwurf geschaffenen organisatorischen Rahmenbedingungen „wird ein solcher Austausch ermöglicht“.

Genau das sehen die Initiatoren des Volksbegehrens bekanntlich anders. Sie wollen einen verpflichtenden Ethik-Unterricht die gesamte Pflichtschulzeit hindurch und auch in der Oberstufe für alle Jugendlichen. Nur dies wäre „aus pädagogischer, gesellschaftlicher und demokratiepolitischer Sicht“ vertretbar. 

Auch Unvereinbarkeitsregeln für Ethik- und zugleich Religionslehrerinnen und -lehrer stehen auf der Agenda der Befürworter des Volksbegehrens. Nicht nur in alphabetischer Ordnung steht Anton Bucher, lange an der Universität Salzburg Professor für Religionspädagogik, ganz oben auf der Liste der Proponenten. Ob spezielle Ethik-Lehrer oder Religionspädagogen ihre Sache besser und ausgewogener verträten - darüber gäbe es, wenn die Schule von Athen jetzt zusammenträte, ausreichenden Diskussionsstoff.

Bild: Wikimedia