Aus inneren Welten
FESTSPIELE / MISSA SOLEMNIS HARNONCOURT
23/07/15 Der 86jährige Nikolaus Harnoncourt tritt nun mit Krücken auf, wird am Dirigentenpult aber sofort zum geistig jungen und seelisch leidenschaftlichen Gestalter. Das Konzert am Mittwoch (22.7.) wurde zu einer unprätentiösen Weihestunde.
Von Gottfried Franz Kasparek
Wenn hier von „zelebrieren“ die Rede ist, dann hat dies natürlich gar nichts mit einer altertümlichen, in musikalischen Weihrauch gekleideten Interpretation von Beethovens geistlichem Opus summum zu tun. Harnoncourt musiziert mit seinem Concentus Musicus mitunter drahtig und fordernd wie seit eh und je, besonders im Gloria und im Credo kommt es zu geschärften Ausbrüchen mit schneidendem Trompetengeschmetter und harten Posaunenklängen. Die Textur wird dann zugespitzt, gewinnt metallene Energie und phasenweise eine gewisse Eiseskälte, wie man sie sich zwischen Himmel und Erde gut vorstellen kann.
Nicht die totale Präzision ist das Anliegen der zum Teil mit ihrem Maestro würdig gealterten Concentus-Mitglieder, sondern die totale Hingabe an das Werk und das Erforschen historischer Klangräume, die flugs in erstaunliche Modernität münden können. Dies ist nach wie vor beeindruckend, wird auch durch einige verjüngte Besetzungen erfrischt.
Und dennoch – im Sanctus und Benedictus stellte sich eine altgolden schillernde Atmosphäre inniger Festlichkeit ein, die ihresgleichen sucht. Das herrliche, sich nicht sklavisch an historische Informiertheit haltende, lyrisch atmende Violinsolo Erich Höbarths schuf gleichsam die Grundlage einer zur „Ouverture spirituelle“ bestens passenden sakralen Grundstimmung, poetisch korrespondierend mit den warmen, dunklen Solostimmen Elisabeth Kulmans und Ruben Droles, dem gefestigten, aber weichen Tenor des Johannes Chum und der hellen Sopranattacke Laura Aikins – insgesamt ein sich nie in den Vordergrund drängendes, zwischen Orchester und Chor platziertes, im Gesamtklang transparent eingebundenes Soloquartett erster Güte.
Den Arnold Schönberg Chor und seinen Leiter Erwin Ortner können Harnoncourts jähe Temperamentphasen ebenso wenig erschüttern wie seine altersweise in die Breite gehenden, aber spannungsvollen Meditationen. Mit zwischen kraftvoller Entladung und poesievollem Strömen changierendem Ton, absolut wortdeutlich und intonationssicher singt sich der Elitechor durch die komplexe Partitur.
Eigenartig dann das Agnus Dei mit seinen schwer auszulotenden Abgründen. Da dräute die Kriegsmusik im Finale zwar entsprechend bedrohlich, da leuchteten manche Farben des Zusammenwirkens von Orchester und Chor geradezu in einer neuen, aufgehellten Romantik, aber da wirkte vieles wie aus einer fernen, mysteriösen Welt. Ja, schon Beethoven drang in seinen letzten Jahren zu jener „Luft vom anderen Planeten“ vor, die Schönberg später propagieren sollte. Harnoncourt macht dies hörbar. Darüber hinaus entsteht eine phantastisch luzide Klangwelt jenseits aller bei Beethoven lauernden Plakativität. Gelassen geht die Messe zu Ende, nichts feiernd, nichts bejubelnd, die Frage nach den letzten Dingen schlicht offen lassend.
Dass sich der Publikumsjubel zu Standing Ovations steigerte, kann man nach Musik solch spiritueller Prägung auch kritisieren. Aber heftiger Applaus samt Bravorufen hat nicht nur die Qualität euphorischen Danks, sondern auch die einer inneren Befreiung.