Das Leben, zum Sterben schön
FESTSPIELE / HAGEN QUARTETT, JÖRG WIDMANN
27/08/14 „Ach wie schön!“, seufzt der Klassikgourmet, wenn Werke wie Mozarts oder Brahms Klarinettenquintett auf dem Programm stehen. Und wenn dann gar beide in Kombination auftreten: Welch ein Ohrenschmaus. Aber einfach schön und lauschig greift im Fall dieser Besetzung natürlich entschieden zu kurz.
Von Christiane Keckeis
Das Hagen Quartett und Jörg Widmann forderten am Dienstag (26.8.) im Großen Saal des Mozarteums nicht weniger als: Mozart neu hören! Und Brahms sensibler empfinden. Da wird nicht drüber gepinselt und schön gestrichen, sondern Sinn eröffnet und die Partitur quasi mit der Lupe betrachtet.
Im Grunde ist es mit Worten nicht fassbar, was alles geschieht, was alles zu hören ist, wenn Lukas, Veronika, Clemens Hagen, Rainer Schmidt und Jörg Widmann miteinander musizieren - in die Musik eintauchen trifft es fast besser – es hat etwas von Zauberei, dieses fraglose Miteinander, Ineinander, Sich-verweben, Einander-Raum-lassen, Weitergeben, Annehmen: Wie von selbst scheint es zu gehen, ein Fluss, in dem es nur eine Führende gibt, der sich alle unterordnen: die Musik.
Aber konkret: Mozarts Klarinettenquintett A-Dur KV 581 pendelt zwischen der Ruhe der Unendlichkeit und der Bewegung des Lebens. Wie eine sanfte Springbrunnenfontäne sprudelt die Klarinette am Beginn mit sanftem runden Ton aus dem überaus kostbar feinen Gewebe, das die Streicher ganz sensibel, ganz zurückhaltend, durchsichtig und doch tragend spinnen. Und in das Gewebe fügt sich der Klarinettenton am Ende der ersten Bewegung wieder stimmig ein. Da ist nichts aufgesetzt. Im Ton schlank, in der Lesart transparent entwickeln sich Linien, Phrasen, Melodiebögen, alles besonders fein, sehr differenziert.
Vieles ist sehr anders, als man es im Ohr hat. Sei es der silberne feine Faden, den die erste Geige ganz im Piano spinnt, seien es harmonische Schärfen, die deutlich herausgestellt werden, sei es die Ernsthaftigkeit des Menuetts, das nach dem Ausrufezeichen des ersten Motivs doch in Fragezeichen weiterführt. Der Farbenreichtum in den Variationen, die spürbar schärfere Akzentsetzung, der Farbenreichtum: Hier hört der Gourmet vieles neu. Und immer wieder geht es um die Spannung zwischen Ruhe und Bewegung, bis zum Schluss, der dann nach so viel Feinzeichnung doch noch musikantisch sein darf. Ganz Mozart.
Zwischen Leben und Tod bewegt sich Brahms' Quintett h-Moll op. 115. Ernsthafter, emotionaler, verzweifelter, wehmütiger, melancholischer als die Mozartsche Welt. Es ist das Sterben allgegenwärtig, wie die Sehnsucht nach Leben auch: Die Musizierenden machen dieses Sterben fühlbar, das Brahms in der Musik angelegt hat. Immer wieder sinken sie in ein Pianissimo, bis z.B. im ersten Satz das Thema nur mehr im Cello klingt. Mit gemeinsamer, einander multiplizierender Kraft bäumt es sich wieder auf: das Leben. Es ist eine Welt der feinst gezeichneten Emotionen, in die die Zuhörenden hineingezogen werden, elementar existentiell.
Wie eine ferne schöne Erinnerung erscheint das Adagio. Widmann gestaltet unendlich spannungsreiche Linien, zieht sie weiter mit dem ihm eigenen wunderbaren Ton und dessen farbiger Lebendigkeit – und doch letztlich endet auch dieser Satz im Nichts, der Schlussakkord nur mehr eine Idee, noch da, gerade hörbar, aber eigentlich schon verklungen bevor er gespielt ist.
Und dann noch einmal: Leben. Da bringt der dritte Satz die Andeutung eines Perpetuum mobiles, mit scherzhaften Momenten, Lebendigkeit, aber auch das hält nicht, im vierten Satz ein Hin und Her der Stimmungen, bis sich letztlich das Thema des Beginns wieder eingräbt und mündet im Ersterben und der Besiegelung durch den h-Moll Akkord. Zum Sterben schön.
Begeisterte Bravi schon vor der Pause, Ergriffenheit und Jubel am Schluss. Und Dankbarkeit.