Die Glücksfee Angela Merkel und ihr EU-Theater

FESTSPIELE / LUMPAZIVAGABUNDUS

02/08/13 Trau bloß keiner Glücksfee, die aussieht wie Angela Merkel! In deren Outfit stöckelt Maria Happel als Fortuna daher und legt abwartend die Finger zum Karo. Sie plädiert dafür, die größten Lumpen mit ausreichend Geld zu versorgen, auf dass doch noch gute Menschen würden aus ihnen.

Von Reinhard Kriechbaum

009Zwischen herein geschobenen Himmelswölkchen, vor einem EU-Sternenhimmel wird die Angelegenheit verhandelt. In die Jahre gekommene Popanze mit angeklebten bauchlangen Rauschebärten haben den Feenkönig Stellaris um Hilfe gegen die juvenilen Tunichtgute angerufen. Voll Verachtung schauen Mystifax, Hilaris (und wie die Zauberer im Feenreich alle heißen) auf die quicklebendige Jugend, die sich um den bösen Geist Lumpazivagabundus schart. So einem Verführer (er scheint aus dem Teufelspersonal des „Jedermann“ ausgekommen) traute man zu, Rapper zu sein oder was in diese Richtung. Für ausreichend Fun sorgt der Bursche jedenfalls. Im Feuer von Stroboskopblitzen haben die Jungen gerade eine lautstarke Party gefeiert: erster akustisch greller Knalleffekt einer Aufführung auf der Halleiner Pernerinsel, für die Regisseur Matthias Hartmann insgesamt ordentlich aufdrehen lässt.

Eh schon wissen: Im Theaterhandwerkszeug des Burgtheater-Direktors rechnet die Keule noch zum feineren Gerät. Und wenn er jetzt (zum ersten Mal überhaupt) Nestroy inszeniert, dann schwingt er sie gar mächtig. Überdrehtheiten und Karikaturhaftes sonder Zahl. Schließlich ist’s ein Zaubermärchen, mag Hartmann sich gedacht haben. Dessen Optionen 008und die handfeste Mutationsmöglichkeiten vom Biedermeier in unsere buntscheckige Gegenwart interessieren ihn weit mehr als Nestroys subversiver Wortwitz. Der bleibt, das sei gleich vorweg moniert, an dem turbulenten und doch auffallend sich hinziehenden Abend auf der Halleiner Pernerinsel hoffnungslos auf der Strecke.

Aber wenden wir uns den drei vazierenden Handwerksgesellen zu, deren zu zwei Dritteln missglückende Domestizierung es zu verhandeln gilt: Knieriem, der Schuster, Zwirn, der Schneider und Leim, der Tischler. Nicholas Ofczarek, Michael Maertens und Florian Teichtmeister spielen die drei Ritter von der leeren Tasche, an denen die Feen Fortuna und Amorosa konkurrenzierend die mäßig wirksamen Möglichkeiten der Erwachsenenbildung erproben.

006Keine Chance natürlich bei Knieriem/Ofczarek. Der krakeelende Alkoholiker schwankt über die Bühne, ein Ungustl im Dauerdelirium, zu besoffen sogar zum ersthaften Krakeelen. Umso alerter Zwirn/Maertens. Im Gegensatz zu Ofczarek hat der gebürtige Hamburger das Wienerische gar nicht drauf und versucht sich auch nicht damit. Der Schneidergesell mit braunem Ziegenbart und geschnürtem Ränzlein ist der schnoddrige Dauerquassler in der Runde. Maertens verschluckt zwar ein Drittel der Silben, aber man weiß schon, was gemeint ist. Charisma oder maßloses Outrieren? Maertens macht es an dem Abend sogar seinen bedingungslosen Sympathisanten nicht ganz leicht.

Gerade, weil diese beiden so attraktiven Rollen im Grunde unterbelichtet bleiben, hat der junge Florian Teichtmeister als Leim sehr gute Karten. Er darf auch nahe am Nestroy-Sprech bleiben, was sich durchaus bewährt. Leims leidet zuerst an namenloser Liebes-Depression und kompensiert dann alles durch den Einstieg ins bürgerliche Leben, durch Heirat und Emsigkeit. In sportlichen Shorts und Turnschuhen, wie Parodien auf die Bürgerlichkeit der Wirtschaftswundergeneration kommen er und die Seinen daher, wogegen Kostümbildnerin Victoria Behr alle Kunst drauf verwendet hat, die Verlottertheit von Knieriem und Zwirn geradezu 007pedantisch umzusetzen. Jeder Fleck, jeder Riss in der Kleidung am rechten Platz! So gediegen arbeiten nur Festspiele im Schulterschluss mit dem Burgtheater (wohin die Aufführung im September wandert).

Dass etwas elementar schief geht in Matthias Hartmanns Deutung des „Lumpazivagabundus“ erkennt man nicht zuletzt daran, dass man als Zuschauer diesem Gutmenschen die Daumen hält und nicht inmsgeheim mit den beiden Schlawinern sympathisiert. Hatte der boshafte Nestroy das im Auge?

Was die argumentative Feinmechanik anlangt, liegt in dieser Aufführung eben vieles im Argen. Matthias Hartmann setzt auf Deftiges, auf Pralles, auf Überdrehtes. In den Wirtshausszenen ist viel los. Die Musik (Akkordeon und Teufelsgeige, gelegentlich Klavier, Kontrabass) parodiert und ironisiert nach Kräften. Zur kleinen Armee an Burgschauspielern kommt noch ein zehnköpfiges Geschwader von der „Jungen Burg“. Betriebsamkeit ist gesichert, und an opulentem ausstatterischen Neobarock hapert’s nicht. Manches kippt Richtung Kabarettnummer oder gleich zur Revue. Hartmann weiß natürlich, dass es dann und wann auch Ruhe braucht, wenn Knieriem und Konsorten ihre Sicht auf die Halbwelt darlegen sollen. Das tun sie etwas zu bierernst und vor allem zu zerdehnt. 010Ein Problem des Abends ist, dass die Aufführung zwar Turbulenz, aber keinen Sog entwickelt – und dass so etwas wie Rhythmus gleich gar nicht erst aufkommt.

Viel zum Lachen gibt es, zugegeben. Eher solches Lachen, bei dem man sich auf die Schenkel klopfen kann. Wenn Zwirn, als Dandy im Morgenrock, ein Porträt von sich malen lassen will und Stefan Wieland als Andy-Warhol-Parodie daher kommt, hat das Witz. Ein Dutzend solcher Episoden könnte man aufzählen, und das ist wohl der Grund, dass das Festspielpublikum die Premiere höchst positiv, nachgerade mit Begeisterung aufgenommen hat. Es ließ sich bereitwilligst intellektuell unterfordern.

005Die inhaltlich verdächtig schale Interpretation haben die Bravo-Rufer einfach übersehen. Es ist gut und wichtig für das Nestroy-Verständnis, wenn mit (nicht selten simplifizierenden) Wiener Aufführungstraditionen gebrochen wird. Matthias Hartmann erzählt uns eine kleine EU-Hinterhofgeschichte. Er lässt uns wissen, dass die guten Wirtschafts-Geister mit ihrem Blick aufs Prosperieren eben immer nur die Fleißigen, die latent (oder notorisch) Bürgerlichen beflügeln können. Viele andere lassen sich ja doch nicht vom Schlendrian abbringen, und das sind gar nicht unbedingt „schlechtere“ Menschen. Sie ticken nur anders. So epochal ist die Erkenntnis nicht.

Am „Lumpazivagabundus“ lässt sich Hartmanns Interpretation ohne ernsthafte Nestroy-Vergewaltigung aufhängen. Aber Nestroy bietet eben nicht nur einen Plot an – zaubrisch,  überdreht, ur-witzig –, sondern er unterläuft gerade diese seine Geschichten mit aufmerksam zugespitztem Text: subversiv, aufsässig, immer wieder rabenschwarz und spöttisch. Der Pessimist Nestroy glaubt nicht an Welt- oder Menschenverbesserung. Wenn eine Aufführung dies in seinem Wortwitz nicht herausbringt, greift sie zu kurz. Mit dem Idiom hat das gar nichts zu tun.

Aufführungen bis 17. August auf der Pernerinsel in Hallein, ab 6. September im Burgtheater - www.salzburgerfestspiele.at; www.burgtheater.at
Bilder: SFS / Burgtheater / Reinhard Werner