Petruschka tanzt, die Mutter schwelgt

FESTSPIELE / BOSTON SYMPHONY

01/09/23 John Williams, der Filmmusik-Schöpfer, der von Star Wars bis Harry Potter, von Jurassic Parc bis zum Weißen Hai, von A.I. bis Schindlers Liste so viel vertont und es bisher auf fünf einschlägige Oscars gebracht hat, schreibt ja auch ganz anderes. Zum Beispiel vor zwei Jahren, als damals 89jähriger, ein Violinkonzert für Anne-Sophie Mutter.

Von Reinhard Kriechbaum

Wenn er Orchestermusik oder Instrumentalkonzerte (derer bisher 18) schreibt, ist der 1932 geborene Williams ein ganz anderer. Einer, der mit amerikanischem Open Mind die aktuelle Neue Musik um sich herum beobachtet und so manches aufgreift. Undogmatisch schreibt er, aber durchaus auch kompromisslos. Der Großmeister filmischer Pops nimmt aus diesem Genre bei sich selbst kaum Anleihen. Ja, es ist durch und durch Neue Musik.

Im Fall des Violinkonzerts für Anne-Sophie Mutter hat er oft und gerne auf ein klangflächiges Misterioso gesetzt. Das riesig besetzte Orchester stellt Farben sonder Zahl bereit, die aber nicht allzu üppig aufgetragen werden. Um Effizienz hat der Altmeister sich keinen Deut geschert. Man könnte ähnliche Wirkung mit halbem Orchesteraufwand auch hinkriegen.

Wie auf einem zweiten, selbständigen Geleise fährt die Solovioline. In dem ihr zugedachten Konzert von ansehnlicher Länge (45 Minuten!) darf Anne-Sophie Mutter das vorführen, was sie besonders gut kann – klangsattes Melos in Hülle und Fülle verströmen. Drei der vier Sätze könnte man als rhapsodisch bezeichnen (oder direkt gesagt, es geht nicht furchtbar viel weiter). Aber Solistin und Hörer können sich passabel einrichten im nicht wenig süffigen Hin und Her. Nur im dritten Satz knallt es, ist das Geschehen auch rhythmisch zugespitzt.

Als Goodies hielten Anne-Sophie Mutter, Andris Nelsons und das Boston Symphony Orchestra an diesem letzten Festspielabend zwei Filmmusiken aus der Feder von John Williams bereit (auch die hat der Kmponist für Mutter eingerichtet). Das war entschieden bekömmlichere Kost. Böse Zungen könnten sagen: Fünfzehn Minuten Wiedergutmachung für das denn doch etwas mühselige Violinkonzert davor.

Nach der Pause Petruschka von Igor Strawinsky. Andris Nelsons hat sich nicht für die ursprüngliche Ballettmusik-Version von 1911 entschieden, sondern für eine Überarbeitung durch Strawinsky 1946/47. Die eine oder andere Retusche lässt aufhorchen, aber im Grunde hat der Komponist nichts Entscheidendes verändert. Als ausgefuchster Dramaturg hat Andris Nelsons sich der Musik auf die Fährten gesetzt, auf der Grundlage eher moderater Tempi so manche Pikanterie herausgezeichnet. Wie liebenswürdig-ungelenk Strawinsky doch Petruschla und seine Marionetten-Gegenspieler tanzen hat lassen! Da entfaltete die von famosen Bläsersoli durchzogene, auch auf Elegance bedachte und nie vor-laute Wiedergabe viel Charisma.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli