Es ist eine Botschaft an uns alle
FESTSPIELE / DIE GRIECHISCHE PASSION
11/08/23 Die Oper The Greek Passion von Bohuslav Martinů nach dem Roman Christus wird wieder gekreuzigt von Nikos Kazantzakis erklingt erstmals bei den Festspielen. Regie führt – nach Aribert Reimanns Lear und Luigi Cherubinis Médée – Simon Stone. Am Pult der Wiener Philharmoniker debütiert Maxime Pascal.
„Meine erste Begegnung mit Martinů hatte ich während meiner Studienzeit am Konservatorium in Paris“, sagt Pascal. „Seine Musik trägt lichtdurchflutete, farbenfrohe, aber auch traumartige Züge.“ Die Musik in The Greek Passion könne man nicht losgelöst vom doppelten Hintergrund der Geschichte betrachten: „Es gibt einerseits den Hintergrund des griechischen Dorfes mit einer christlich-orthodoxen Gemeinde in Anatolien, in der alle sieben Jahre die Darsteller eines Passionsspiels ausgewählt werden. Auf der anderen Seite gibt es die zweite Gemeinde der aus ihrem Dorf vertriebenen Flüchtlinge, die im Dorf der ersten Gruppe Zuflucht suchen, von dort aber wiederum vertrieben werden. Das Verschmelzen der politischen und religiösen Ereignisse führt zum Konflikt – all das ist essentiell für das Verständnis der Musik, die daraus herrührt.“
„Bedeutsam für das Verständnis ist auch, dass Martinů selbst Flüchtling war und dass seine eigenen künstlerischen Optionen nach dem zweiten Weltkrieg stark eingeschränkt waren“, so Simon Stone. „Er musste selbst Asyl suchen – man hört in der Musik, wie wichtig für ihn der Stoff von Kazantzakis war, der sich seinerseits ebenfalls stark mit den Themen Staaten- und Heimatlosigkeit beschäftigt hat.“ Das Stück sei gleichzeitig zeitlos und modern: „Deswegen ist es auch relevant für uns heute.“ Was Kazantzakis geschrieben hat, hat Martinů durch seine Musik, die archetypische und moderne Formen vereint, noch verstärkt. Es ist eine Botschaft an uns alle.“
Von der musikalischen Vielfältigkeit, „in ihren Anklängen an tschechische, byzantinische und orthodoxe Hymnen“ erzählt Maxime Pascal: „Für diese Oper spielt Martinůs Interesse an Spiritualität und Träumen eine tragende Rolle. Das spiegelt sich auch im musikalischen Ansatz wider, der westlich-christliche wie anatolische Weisen und Traum-Elemente, die Assoziationen mit Messiaen wecken, enthält.“
Es gibt zwei Chöre, den fest installierten Chor der ansässigen Dorfbewohner und den Chor der Flüchtlinge, den man demgegenüber zunächst nur aus der Ferne hört. „Er nähert sich dann nach und nach der Bühne, bewegt sich im weiteren Verlauf aber wieder dorthin zurück, wo er hergekommen ist: Diese musikalische Beschreibung des Raums ist etwas ganz Zentrales in diesem Stück. Das hat Simon hier in der Felsenreitschule ganz besonders umsetzen können.“ Die szenische Wirkungsweise des Chors ergibt sich, so Stone, ganz selbstverständlich aus dem Umgang mit der Dramatik und Gestik, die im Stück angelegt sei: „Man muss einfach zuhören. Ich denke, viele Menschen werden überrascht sein und sich fragen: Wieso ist dieses Werk nicht regelmäßiger Bestandteil des Repertoires?“
Eine bewusste Transformation ins Heute sei nicht notwendig, so Simon Stone weiter. Ein Klassiker müsse immer wieder neu gerahmt werden, bei einem wenig bekannten Werk wie The Greek Passion, „gegenüber dem das Publikum keine vorgefertigte Erwartungshaltung hat“, sehe er seine Aufgabe eher darin, „es zu einem Klassiker zu machen“. Die Holzbläser setzt der Komponist immer in Dreiergruppen ein: „Es steht also weniger das Solistische als eine Form von Einstimmigkeit im Vordergrund.“ Ein zweites Merkmal seien die folkloristischen Klangmerkmale mit teils mittelitalienischen oder griechischen Zügen, sagt Maxime Pascal. Dadurch entstehe ein sehr lichtdurchfluteter, mediterraner Eindruck, der im starken Kontrast zur menschlichen Rohheit und Gewalttätigkeit der Handlung stehe: „Je sonniger und heller die Musik, desto mehr spitzt sich die katastrophale Tragik der Geschichte zu.“
Den religiösen Hintergrund des Librettos hält Simon Stone für wichtig: „Anhand der Figuren des Manolios und des Grigoris zeigt sich der Gegensatz, wie viel Macht Religion auf der einen und ein einzelner Mensch in Person des Priesters – gerade innerhalb dörflicher Strukturen – auf der anderen Seite haben kann.“ Gleichzeitig gehe es um das Ausloten von Grenzen und um die Diskrepanz zwischen einer in der heutigen Zeit politisch verordneten Unterdrückung von Großzügigkeit und menschlich intuitiver Hilfsbereitschaft. „Diesem Unterdrückungsversuch widerspricht Martinůs Musik – sie ist ein Plädoyer für Menschlichkeit.“ (SF / dpk-klaba)
www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Jan Friese