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Voll im Geist der Zeit

FESTSPIELE 2023 / SCHAUSPIEL

12/12/22 Zwei echte Theaterstücke – Jedermann und Nathan der Weise –, dazu ein der Bühne anverwandelter Film (Liebe/Amour), ein dramatisierter Roman (Die Wut die bleibt) und eine freie Adaption nach Brecht (Der kaukasische Kreidekreis): Zumindest statistisch entspricht das Schauspiel-Programm der kommenden Festspiele den heute üblichen Usancen.

Von Reinhard Kriechbaum

Man ist als Autor heutzutage ja viel besser dran, kein Bühnenstück zu schreiben, sondern einen Roman oder sonstwas vorzulegen. Für die Bühnenadaptionen sorgen dann schon die Theaterleute selbst. So geschieht's im Schauspiel derzeit von den maßgeblichen Häusern bis hinunter auf die Provinzbühnen. Warum eigentlich halten sich Regisseurinnen und Regisseure derzeit so bewusst fern von Stoffen, die eigentlich für die Bühne geschrieben sind? Das kommende Schauspielprogramm spiegelt jedenfalls diese Situation, die man gutheißen oder bedauern kann.

Die Jedermann-Besetzung ist ja schon kommuniziert, Regisseur Michael Sturminger wird wieder mal von Grund auf neu arbeiten müssen am Stück, denn mit Michael Maertens täte die jüngste LBTQ-Variante wohl nicht funktionieren. Im Detail ist dazu aber noch nichts publik. Valerie Pachner ist Buhlschaft und Tod zugleich, weitere Neubesetzungen sind wie berichtet Cornelia Froboess als Jedermanns Mutter, Sarah Viktoria Frick als Teufel und Gott. Der Glaube wird von Anja Plaschg gespielt, Jedermanns Guter Gesell ist Helmfried von Lüttichau, Bruno Cathomas und Fridolin Sandmeyer sind Dicker und Dünner Vetter.

Auf der Pernerinsel gibt es im kommenden Festspielsommer nur eine Theaterproduktion (ab 28. Juli). Lessings Nathan der Weise wird von Ulrich Rasche inszeniert, der 2018 mit Aischylos ́ Tragödie Die Perser sein Regie-Debüt bei den Festspielen gab und dafür den Nestroy-Theaterpreis für die beste Inszenierung erhielt. Ja, richtig gelesen: Judith Engel spielt die Titelrolle. Auch solche Geschlechterverdrehungen entsprechen absolut der derzeitigen Theater-Mode. Aber vielleicht ist es wirklich so, dass man die Ring-Parabel, diesen Aufruf zu Humanität und Toleranz, einer Frau heutzutage eher glauben möchte als einem Mann.

In Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen zeigt man ab 30. Juli im Landestheater eine Bühnenvariante von Michael Hanekes Kultfilm Liebe (Amour). Karin Henkel, die zuletzt in Salzburg Richard the Kid & the King spektakulär in Szene setzte, führt Regie. Sie wird nicht auf eine nahe liegende kammerspielartige Darstellung setzen, sondern ein Ensemble um André Jung nebst einer Gruppe von Laiendarstellern („eine Gruppe Münchner*innen aller sieben Lebensalter“ heißt es im Programmbuch) ins Rennen schicken für diesen Diskurs um einen selbstbestimmten Umgang mit Alter, Krankheit und Tod.

Welche Mutter die wahre sei, fragt Bertolt Brecht in seinem Drama Der kaukasische Kreidekreis. Zu befinden hat darüber in Brechts Originalfassung der Richter Azdak, der zwischen der leiblichen Mutter, die ihr Kind nach einem politischen Umsturz zurückgelassen und der Magd Grusche, die es gerettet hat, entscheiden muss. Die Regisseurin Helgard Haug, die dem Kollektiv Rimini Protokoll angehört, fragt sich, was wäre, wenn dem Kind selbst die Entscheidung übertragen würde. Sogar das Publikum soll in die Suche nach Lösungen mit einbezogen werden. Damit ist man – wieder total zeitgeistig – inklusiv unterwegs, wozu auch die Einbeziehung des Theater HORA aus Zürich beiträgt, ein Theaterprojekt für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Premiere ist am 12. August in der Szene.

Zu Festspiel-Ehren kommt zuletzt die gebürtige Halleinerin Mareike Fallwickl. Sie ist die Autorin des Romans Die Wut, die bleibt. Es ist eine Geschichte um den Selbstmord einer Mutter. Es inszeniert Jorinde Dröse, es spielen unter anderem Johanna Bantzer und Max Landgrebe. Premiere dieser Koproduktion mit dem Schauspiel Hannover ist am 18. August im Landestheater.

Mitte August geht’s dann doch wieder für drei Abende auf die Pernerinsel: Into the Hairy ist eine Tanperformance von Sharon Eyal und Gai Behar.

In der Reihe der Lesungen sind drei Briefwechsel das Thema. Edith Clever und Tobias Moretti nehmen sich die Briefe im Exil zwischen Max Reinhardt und seiner Frau Helene Thimig vor. Lina Beckmann (die für Richard the Kid & the King den FAUST-Theaterpreis als beste Darstellerin für 2020 bekommen hat) und Charly Hübner lesen aus dem Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Schließlich Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, gelesen von Paula Beer und Albrecht Schuch. Bertolt Brechts Vergnügungen widmet sich Angela Winkler, zu dem das delian::quartett das Vierte Streichquartett von Dmitri Schostakowitsch beisteuert.

Und dann noch ein Lese-Marathon für Simone de Beauvoirs Das andere Geschlecht. Dazu sind eine ansehnliche Schar von Buhlschaften und weitere Festspiel-Künstlerinnen eingeladen: Verena Altenberger, Senta Berger, Eva Löbau, Dörte Lyssewski, Mavie Hörbiger, Birgit Minichmayr, Kathleen Morgeneyer, Valerie Pachner, Caroline Peters, Maresi Riegner, Kate Strong, Elisabeth Trissenaar, Valery Tscheplanowa und Christiane von Poelnitz. Ungefähr sechs Stunden wird man sich dafür freihalten müssen am 30. August im Landestheater.

Es gibt wieder einen Unterbau aus Schauspiel-Recherchen und eine Filmreihe rund um Nathan der Weise im das Kino. Und nicht zu vergessen: Nächstes Jahr gilt es, an den 150. Geburtstag und den 80. Todestag von Max Reinhardt (1873–1943) zu denken. Was dazu geplant ist, wird man aber erst im Frühjahr bekannt geben.

www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Anne Zeuner (2); Mara von Kummer (1);Jeanne Degraa (1)
Zum Bericht von der Programmpräsentation
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus
Zum Detailprogramm Oper
Die Welt ist aus den Fugen
Zum Detailprogramm Konzert
100 Metronome und einige Debüts
Über den neuen Jedermann
Valerie Pachner und Michael Maertens

 

 

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