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Ich heile das nicht mit Musik

FESTSPIELE / WOLFGANG RIHM / JAKOB LENZ

28/07/22 Bevor der erste Ton gesungen oder gesprochen wird ein Schrei. Der Typ, der da verzweifelt durch die Gegend irrt, sich ins eiskalte Wasser stürzt, ein totes Kind erwecken oder den Menschen predigen will: Dieser Typ ist der Dichter Jakob Lenz und zugleich zeitlos jedes Individuum, das an seiner Zeit zweifelt, ver-zweifelt, zerbricht.

Von Heidemarie Klabacher

Sechs Vokalisten, vier Kinderstimmen, vier Holz- zwei Blechbläser, drei Celli, Schlagzeug Cembalo: Maxime Pascal gestaltete mit dem Ensemble Le Balkon und den Solisten des Salzburger Festspiele und Theater Kinderchores die Kammeroper Jakob Lenz von Wolfgang Rihm als erschütternd klaren Blick den tiefstmöglichen seelischen Abgrund - mit einem überwältigendem Georg Nigel in der Titelrolle.

Das Libretto von Michael Fröhling basiert frei auf der Erzählung Lenz von Georg Büchner. In der Kammeroper von Wolfgang Rihm, uraufgeführt 1979, steht Jakob Lenz aber für mehr als einen selbstmörderischen Sturm und Drang-Dichter. Rihms Musik macht die historische Figur zur Metapher: Lenz, der Mensch, der an den Ansprüchen an sich selbst und den Widersprüchen und Verwerfungen seiner Zeit zerbricht.

Maxime Pascal leitete in der konzertanten Festspielaufführung am Mittwoch (27.7.) im Großen Saal des Mozarteums das Ensemble Le Balkon. Georg Nigl, der bereits 2015 für seine Interpretation des Jakob Lenz zum Sänger des Jahres gekürt wurde, wechselt in dem expressiven Baritonpart mit technischer Souveränität und spielerischer Leichtigkeit zwischen singen und schreien in den gesungenen Passagen, in den gesprochenen zwischen beinah tonloser Sprachlosigkeit, kindlichem Erstaunen, beißender Ironie und tiefster Verzweiflung. Eine gesangliche wie schauspielerische Höchstleistung. Wenn etwa im siebten Bild Lenz im Gebirge „des Abends Kühle niedersinkt“ scheint einem die Musik von Rihm Assoziationen mit dem Sänger in Mahlers Lied von der Erde geradezu aufzuzwingen. Und der nächste Moment ist auch schon wieder rasende expresseive Verwzeiflung: Die permanenten Wechsel in der Gefühlslage einer zerissenen Seele rundet Georg Nigl zu erschütternder Geschlossenheit. Da gibt es kein Entrinnen aus dem Kerker der Krankheit und Verzweiflung.

Der Bassbariton Damien Pass sang die Partie des Oberlin, jenes weitsichtigen und menschenfreundlichen Pfarrers, der den historischen Lenz drei Wochen lang betreute und Notizen über den pathologischen Fall gemacht hat. Er „redet“ nicht viel in der Kammeroper, umso mehr Verständnis und Mitgefühl wusste Damien Pass in seinen Part zu legen. Der Tenor John Daszak sang die Rolle des gutmütigen und wohlmeinenden Pfahlbürgers Kaufmann, der angesichts von Lenz' künstlerischer Verzweiflung nur die „Schönheit“ ins Treffen führt und in bizzarren Dreiklängen vom „furchtbaren Schlaraffenland verwilderter Ideen“ singt. Diese von Wolfgang Rihm beinah liebevoll ironisch gezeichnete Figur kann man bis heute in jedem x-beliebigen Pausengespräch Platidüden verbreiten hören.

Sechs Vokalisten, vier Kinderstimmen, vier Holz- zwei Blechbläser, drei Celli, Schlagzeug Cembalo: Maxime Pascal gestaltete mit dem Kammerensemble Le Balkon und den jungen Solisten des Salzburger Festspiele und Theater Kinderchores die in sich schon transparente Partitur zu einen erschütternd klaren Blick den tiefstmöglichen seelischen Abgrund.

Bild: SF / Anita Schmid

 

 

 

 

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