Endgültig katholisch durchgeknallt?
HERZOG BLAUBARTS BURG / DE TEMPORUM FINE COMOEDIA
27/07/22 Der Jubel war – völlig zurecht – stürmisch. Solidaritäts-Erklärung für Teodor Currentzis (wird hiemit unterschrieben) oder Begeisterung von 1.437 Geläuterten nach schwer-katholischer Indoktrination? Zum Glück gab's vorher noch Leidenschaft.
Von Heidemarie Klabacher
Jetzt spottet man, da und und dort unverbesserlich, eh schon über den Jedermann und dessen Salzburger last-minute Himmelfahrt. Kann witzig werden, was nun nach der Doppel-Opern-Premiere am Dienstag (26.7.) so daher kommen wird im Feuilleton – nachdem zur Rettung der Sünderseele auf dem Domplatz auch noch der antik-jüdisch-griechisch-philosophisch-frühchristlich-scholastisch-ideologische Überbau geliefert wird. Auf Deutsch, Latein, Altgriechisch.
Die erste Premiere der Festspiele galt mit Bartóks Blaubart und Orffs Comoedia in der Felsenreitschule zwei Werken in der – scheinbar Unvereinbares verbindenden – Regie, Austattung und Belechtung von Romeo Castellucci, mit Teodor Currentzis am Pult des Gustav Mahler Jugendorchester.
Romeo Castellucci hat Blaubarts Burg, das Gebäude, als eine einzige Spielebene zwischen den unvereinbaren Elementen Wasser und Feuer interpretiert. Wie Mann und Frau. Gut und Böse. Tag und Nacht. In einer Meisterleistung der Pyrotechnik flammen auf Wassergrund Feuersymole auf, die sich spiegeln, verdopplen, in Wellen brechen, verlöschen. Da geht es um Seelenräume, nicht um Burgkammern. Allein die Person des Blaubart ist in dieser Lesart so weit weg von einem brutalen Lustmörder, wie ein Mann nur zu denken ist. Kaum einmal kommt die Besorgnis des Burgherren so klar und subtil zum Ausdruck, angesichtes des fordernden Interesses der neuen Dame des Hauses. „Gib acht auf meine Burg. Judith. Gib acht auf uns...“ Mika Kares als Herzog Blaubart und Ausrine Stundyte als Judith sind eine Traumbesetzung für das Traum-dunkle Kammerspiel. Einmal bilden die Feuer-Figuren im Wasserspiegel das Wort unserer Zeit ICH... So subtil wie Romeo Castelluci die Szene, malt Teodor Currentzis mit dem Gustav Mahler Jugendorchester den Klang. Blaubart ist nicht nur eine Oper der Angst und der Gewalt, sondern, wenn man die Musik so beim Wort nimmt, vielmehr noch eine der Lust und des Begehrens.
Nichts davon in Teil zwei des Opernabends. Der dramaturgiche Grundgedanke vielleicht „Kammeroper vs. Massenauflauf“. Carl Orff (1895–1982) DE TEMPORUM FINE COMOEDIA. Das Spiel vom Ende der Zeiten – Vigilia. Endfassung 1981. Libretto von Carl Orff unter Verwendung von Texten aus den Sibyllinischen Weissagungen und den Orphischen Hymnen. In altgriechischer, lateinischer und deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln. So der Titel im Programmbuch. Dafür war dann auch kein Platz mehr für den Text. Ein außerordentliches Versäumins in Sachen Kundenservice besonders in diesem Fall.
Um es gleich gleich zu sagen: Musikalisch brillanter, rhytmisch präziser, swingender und zwingender als Teodor Currentzis wird diesen musealen Katechismus niemand so bald wieder zum Klingen bringen. (Urauffühung war 1973 unter Karajan ebenfalls bei den Festspielen. 49 Jahre. Das lässt hoffen.) Den Mega-Orchesteraparat, mit Schlagwerk genug für einen Kreuzzug und einer Bläser-Batterie für's Armageddeon zur Delikatesse und Finesse eines Streichquartetts herauszufordern – das war singulär. Ebenso grandios war der Umgang Currentzis' mit dem Chor: Der hier mehr rezitierende als singende musicAeterna Choir, einstudiert von Vitaly Polonsky, agiert gemeinsam mit dem Salzburger Bachchor maßgeblich auch szenisch-darstellerisch präzise und wendig und geschmeidig wie ein Ballett-Ensemble in der Choreografie von Cindy Van Acker.
Zuerst malen die neun Sibyllen – in nicht endenwollenden schrillen Rufen – Schreckensbilder vom Ende der Welt. (Teste David cum Sibylla, heißt es im Requiem.) Dann agieren die Mönche, die Anachoreten, wie heidnische Baum-Anbeter und fällen exemplarisch das Kultstück. Dann verkünden sie die Position von der Tilgung aller Schuld am Ende der Zeiten duch die Kraft Gottes. Gruselig und aufwühlend sind die Toten, die massenhaft aus ihren Gräbern kommen. Bewegend ist die Schluss-Szene – die übrigens so dunkel bleibt wie der gesamte Abend – mit Christian Eeiner als gefallener Engel Luzifer. . Symbolfigur für die Rettung der Sünder: Er bekennt seine Schuld. Und dann ist auch schon alles gut. Fine comedia.
Weitere Aufführungen – 31. Juli, 2., 6., 15. und 20 August - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Monika Rittershaus