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In der Hölle ist es weiß

FESTSPIELE / DON GIOVANNI

27/07/21 Eine ausgeräumte Kirche – wir waren dabei, wie Statuen, Bänke und Hochaltarkreuz hinausgetragen wurden – ist der Schauplatz. Weiß in Weiß. Wie so vieles im neuen Don Giovanni. Eine Ziege kommt vorbei. Dann auch Don Giovanni selber. Auto, Konzertflügel oder ein ganzer Haufen Baskettbälle plumpsen von der Decke. Der Sakralraum wird zur Müllhalde.

Von Heidemarie Klabacher

Der durchgeknallte erste Teil rundet sich gemeinsam mit dem subtilen – in einem mythologischen und zeitlichen Irgendwo zum Stillstand gekommenen – zweiten Teil zu einem verstörenden Ereignis. Romeo Castellucci, in Personalunion verantwortlich für Regie, Bühne, Kostüme und Licht riskiert Lächerliches, Banales, Unausgegorenes. Das will man ihm um die Ohren knallen. Und zögert auch schon. Zwar fallen Konzertflügel selten von der Decke (und das Festspielhaus wird eh jetzt renoviert). Wenn aber Don Giovanni auf den Trümmern des Instrumentes zum Fest „aufspielt“, bekommt der aufwändige Effekt etwas Endzeitliches. Das von der Decke geplumpste Auto dient wohl nur der Darstellung von Extremen, zu denen eine von Grund auf gestörte Persönlichkeit neigt, und spielt nicht weiter mit. Auch das moderne Kopiergerät, das Leporello zur Register-Arie in Betrieb nimmt, wird nicht plausibler, weil ein zweites Gerät wie ein Ufo von der Decke schwebt. Wenigstens bekommt die arme Donna Elvira keinen Stapel mit den vervielfältigten Namen ihrer 2065 Konkurrentinnen ausgedruckt.

Für die Frauen des Don Giovanni stehen in dieser Produktion 150 Salzburgerinnen, die weit mehr sind als Statistinnen oder Staffage, auch wenn sie, in schwarzen Kleidern, den Friedhof, die Zypressen und Grabdenkmäler der Schluss-Szene „darstellen“. Es sind 150 Persönlichkeiten voller Ruhe und Souveränität. Individuen, die zufällig das „Schicksal“ eint, irgendwann einmal dem gleichen Idioten aufgesessen zu sein. Rache? Wofür?

Im zweiten Teil ist die profanisierte Kirche mit weißen Tüchern verhängt (die übrigens tolle Effekte machen). Die fließenden Gewänder der Frauen, mit oder ohne wehenden Schleier, sind farblich abgestuft vom reinen Weiß bis zum kräftigen Rosa: Eine Prozession dieser Gruppe ergibt archaische Bilder. Für diese zugleich monumentale und subtile Choreografie zeichnet Cindy Van Acker. Sie gruppiert etwa  einige der Frauen um Donna Anna zu Rezitativ und Arie Crudele! A no, mi bene. Damit verabschiedet sich die Story vom bestraften Wüstling aus Spanien und einer betrogenen Edelfrau endgültig in die Höhen mythologischer Überzeitlichkeit.

Und die Hauptsache. Wirklich der aller-aller-größte Teil der Musik ist von Mozart. Viele „Einleitungen“ oder „Vorspiele“ scheinen zwar in freier Assoziation von überall her aus der Musikgeschichte eingefangen und herbeizitiert zu werden – führen aber doch immer, wenn auch auf betörend schillernden Umwegen, zurück in die Don Giovanni-Partitur. Die Continuogruppe des musicAeterna Orchestra, allen voran die Hammerflügel-Virtuosin Maria Shabashova, entfaltet mit spielerischer Leichtigkeit und einer gehörigen Portion Mut (man ist immerhin in Salzburg bei den Mozart-Bewahrern) Überwältigendes und Betörendes.

Auch der Orchesterpart wird von Teodor Currentzis, der übrigens am Montag (26.7.) zehn Minuten vor Premierenbeginn von Fotografen verfolgt durch die Hofstallgasse ins Festspielhaus gehirscht ist, immer wieder zum Flirren gebracht. Spektralismus bei Mozart. Warum nicht, wenn es so selbstverständlich daherkommt, nicht eitel Selbstzweck ist, sondern die Gesamterzählung von der Auflösung allen Seins im Nichts verstärkt. Die Dynamik, hinlänglich bekanntes Markenzeichen von Teodor Currentzis, geht Hand in Hand mit dem sich steigernden Energieniveau der Szene. Da stehen Dirigent und Spielemacher mit ihren Intentionen einander nicht im Weg.

Gesungen wird festspielwürdig. Würde nicht Wunder nehmen, würde etwa Nadezhda Pavlova nach ihrer Darstellung der Donna Anna als neuer Star aus Salzburg gehypt: Eine klang-kräftigere und zugleich in allen Lagen und Lautstärken delikatere Interpretation der Partie kann man sich nicht wünschen.

Don Ottavio, ohnehin der Deschek vom Dienst in der Operngeschichte, wird unter Regisseur Romeo Castellucci zum Ritter von der Traurigen Gestalt und maximal lächerlich gemacht. Michael Spyres gibt einen Don Ottavio, der sich eben dieser Unzulänglichkeit bewusst ist. Er überspielt dies mit absurder Selbstinszenierung in lächerlichen „ikonografischen“ Kostümen. Von der Uniform eines lateinamerikanischen Despoten über das Outfit eines Polarforschers oder Extrembergsteigers der Jahrhundertwende bis zum Monarchen im hermelinverbrämten Mantel. Alles in blendendem Weiß. Auch der Königspudel, der den Ärmsten vom wirklich gelungenen Abliefern der ersten Arie ablenkt. Armer Hund, dieser Don Ottavio. Nach der pudelgestörten ersten Arie läuft Michael Spyres aber zu brillanten Tenorhöhen auf, in seinen Arien, wie auch in den Ensembles.

Federica Lombardi singt als Donna Elvira mit betörender Strahlkraft und Leichtigkeit auch in der Exaltation. Sie ist darstellerisch die einzige – im besten Sinne bitte – "normale" Figur. Sie gestaltet eine verletzte, hassende und liebende Frau, keine mythologische Allegorie. Zwischen David Steffens Massetto und Anna Lucia Richters Zerlina herrscht mehr Gewalt als das ohnehin nur scheinbar heitere Batti batti üblicherweise erlaubt. Ein „niederes Paar“ auf sängerischen Höhen! 

Vito Priante als Leporello und Davide Luciano als Don Giovanni scheinen, nicht nur optisch im weißen Anzug, zwei Seiten ein und der selben Medaille oder die beiden Ausprägungen einer gespaltenen Persönlichkeit zu sein. Sie sind auch stimmlich einander auf höchstem Niveau ebenbürtig. Der nackte Todeskampf des Don Giovanni ist richtungsweisend für künftige Interpretationen der Hölle.

Mika Kares ist der stimmgewaltige Commendatore. Und natürlich nickt in der Regie von Romeo Castellucci kein Steinerner Gast bedrohlich mit dem Kopfe.

Don Giovanni – weitere Aufführungen bis 20. August - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Ruth Walz (2); Monika Rittershaus (4)

 

 

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