Wie sie alle beten

FESTSPIELE / INORI

25/07/21 Keine schlechte Idee, um den Frieden – Pax ist das Thema der sich zu Ende neigenden Ouverture spirituelle – nicht nur zu bitten, sondern intensiv zu beten. Das genau bedeutet das japanische Wort inori, Titel eines 75minütigen Tanz-Stücks von Karlheinz Stockhausen.

Von Reinhard Kriechbaum

Allmählich geht's ans Bilanzziehen in Sachen Ouverture spirituelle. Pax also war das Thema, und da drängen sich natürlich Schlüsselwerke des 20. Jahrhunderts quasi im Dutzend auf. Genau auf solche hat man gesetzt bei der Disposition der Konzertreihe. Im Lauf einer Woche hat man wirklich das Wesentlichste gehört, das zum Thema komponiert worden ist. Bekenntnishaftes à la Quatuor pour la fin du temps (Messiaen) oder mehr Plakatives wie Black angels (George Crumb) oder Different trains (Steve Reich), Schlüsselwerke der Geistlichen Musik von der Orthodoxie Griechenlands bis zu Strawinsky, vieles aus der längst kanonisierten Moderne (Luigi Nono, Giacinto Scelsi, Klaus Huber). Vielleicht ist das Wort Highlights nicht ganz passend für den Ernst des Anliegens – eine Friedens-Schaustellung jedenfalls entlang von unverrückbaren Musik-Monumenten. Gar nicht war's eine kreative Suche nach neuen Blickwinkeln.

Am Samstag (24.7.) war in der Kollegienkirche ein Hoch-Podium für eine Tänzerin/Performerin aufgebaut. Ein schmaler Steg nach hinten, zwei Stiegen seitwärts vorne. Unter und hinter dem Gerüst das mit 33 Musikern gar nicht so kleine Kammerorchester Le Balcon mit dem Dirigenten Maxime Pascal. Im Fokus die Tanz-Mimin Emmanuelle Grach.

Karlheinz Stockhausens (1928-2007) Inori – Anbetungen, hier also zu hören in einer etwas reduzierten Orchesterversion, ist ein modellhaftes Werk der seriellen Musik aus dem Jahr 1974. In Donaueschingen uraufgeführt, wo sonst? Alle Parameter sind in Reihen geordnet, und auch die Gesten der Darstellerin sind davon abgeleitet. Sie sind nicht als Stimmungsmache gemeint, sondern helfen, die Konstruktion im Wortsinn zu durchschauen. Inori ist schon deshalb ein Schlüsselwerk, weil es ganz entscheidend dem verbreiteten Vorurteil gegen die serielle Musik entgegenwirkt, das sei eine „berechnete“, also emotionslose Angelegenheit. Genau das Gegenteil ist hier der Fall. Für einen hohen, vielleicht sogar zu hohen Pegel sorgte der Klangregisseur Florent Derex.

In allen Religionen stützen Betende ihre Anliegen mit entsprechender Körperhaltung und Bewegungen. Davon ist das choreographische Vokabular von Inori abgeleitet. Es ist vorgegeben. Was man sieht, ist also keineswegs improvisatorische Auslegung der jeweiligen Tänzerin. Was fängt man als Zuseher/Zuhörer damit an? Meditationsbegabte Menschen lassen sich hinein fallen. Die sachlicher Orientierten versuchen, Gestenfolge und Gehörtes zusammen zu bringen, also die Patterns zu durchschauen. Ist nicht so schwierig. Fein jedenfalls, auch diesen Klassiker wieder mal gesehen/gehört zu haben.

Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli