Kreativität, gewonnen aus Folklore

FESTSPIELE / TABEA ZIMMERMANN

14/08/19 Ein außerordentliches, klug programmiertes Konzert. Stücke, die Volksmusik verarbeiten, umgaben George Enescu. Die famose Tabea Zimmermann und ihre Bratsche dominierten den Abend im Großen Saal des Mozarteums am 13. August. Da wurde einem so richtig warm ums Herz.

Von Gottfried Franz Kasparek

Warm ums Herz? Und dies bei Ligeti und Berio, die Joseph Joachims gefühlvolle „Hebräische Melodien“ für Viola und Klavier im ersten Teil umgaben? Joachim hat keine originale Folklore verwendet, sondern sich auf hebräische Weisen und Lyrik Lord Byrons seinen eigenen, romantisch-versponnenen Reim gemacht. Tabea Zimmermann spielte das mit edlem Ton und wehmütigem Ausdruck, mitatmend begleitet von Thomas Hoppe. Ein Pianist, der vor allem ein einfühlsamer Partner ist – nach der Pause hätte man sich bei der Es-Dur-Violasonate op. 120/2 von Johannes Brahms ein wenig mehr an pianistischer Energie erwartet. Sei’s drum, die Bratscherin versenkte sich gar wundersam und akzentreich in die grüblerische Abgeklärtheit des alten Brahms, samt Anklängen an deutsche Volkslieder, und man schritt voll schöner Melancholie in den Regenabend.

Die Höhepunkte waren vorher. Wann hört man schon Györgyi Ligetis Viola-Solosonate? Leider gab es auch diesmal nur den ersten Satz, aber der hat es in sich. Anno 1194 erinnerte sich Ligeti an seine siebenbürgischen Wurzeln. „Hora lungă“, so der Titel des weit gespannten Lento-Satzes, bedeutet „langsamer Tanz“, eigentlich eine rumänische Volksweise. Kein Valse triste ist dies, sondern ein wehmutsvolles Nachsinnen. Ligeti hat seine Weise selbst erfunden, zur Gänze für die G-Seite bestimmt und auf Natur-Intervalle konzentriert. Grandios, welch herrliche Farben der Komponist und die Interpretin einem im Grunde schlichten Liedthema entlockten. Und wie schön neue Musik sein kann.

Ähnliches gilt für Luciano Berio, der die italienische „bellezza“ nie ganz vergessen hat. Volksmusik liebte der Nachfahre ligurischer Salonmusiker besonders, ja er träumte von einer Verbindung der Folklore mit der Avantgarde. Ihm persönlich ist dies bestechend gelungen, nicht nur in den „Folk Songs“. Sogar noch mehr Neues gibt es in „Naturale“, einer ausgedehnten Hommage an sizilianische Melodien. Da gibt es kein Klavier, sondern Schlagzeug, pointiert und beherzt gespielt von Christoph Sietzen. Und ein Zuspielband, auf dem ein Volkssänger, auch mit Rufen der Fisch- und Obsthändler von Taormina, aus dem Jahr 1968 zu hören ist. Der arabische Einfluss ist in diesen archaischen Gesängen übrigens unüberhörbar. Die Viola nimmt die Stimmungen auf, steuert weitere Folklore bei, teils in liebevoller Verfremdung, oft einfach in anrührender Natürlichkeit. Da gibt es eine Pizzicato-Stelle, bei der man sich in südliches Traumland zwischen bella Napoli und Markusplatzcafé versetzt fühlt. Da gibt es aber auch jäh dräuende Gewalt, Glockengeläut und die Suche nach verlorener Schönheit. Ein Meisterwerk und ein weiterer Beweis dafür, wie viel Zeitloses in Volksmusik steckt. Eindringlicher und klarer als Tabea Zimmermann kann man das nicht spielen.

„Zeit mit Enescu“ heißt nicht „Enescu pur“, sondern der Komponist wird in seinem Umfeld dargestellt. Das frühe Konzertstück für Viola und Klavier hat ein sonor aufsteigendes Hauptthema, das glatt von Brahms sein könnte, streift die lyrische Aura des Lehrers Fauré, lässt dezent typisch Rumänisch-Rhythmisches anklingen und greift vollmundig in expressionistische Klangfarben. Auch dies: vollendet interpretiert. Allgemeine Begeisterung!

Hörfunkübertragung (2. Konzerthälfte) am 3.9. um 19.30 Uhr in Ö1
Bilder: SF / Marco Borrelli