Ge-webernter Teppich mit Dusapin-Streifen

FESTSPIELE / KLANGFORUM WIEN

07/08/19 Zeit mit Dusapin für das Klangforum Wien unter Emilio Pomàrico am Dienstag (6.8.) im Großen Saal des Mozarteums mit einer gehörigen Portion Webern. Wenn in einem Programm Werke zweier Komponisten einander abwechseln, sucht man nach Verbindungen und Kohärentem. In dieser Hinsicht boten sich dem Hörer allerdings kaum Anhaltspunkte.

Von Erhard Petzel

Anton Webern und Pascal Dusapin erscheinen ziemlich gegensätzlich sowohl im Charakter ihrer Werke als auch in ihrer Wirkung. Das lässt sich exemplarisch an den beiden letzten Werken des Konzertes verdeutlichen, die jeweils als Wirkungshöhepunkte für die Werkauswahl der beiden Komponisten angeführt werden können.

Weberns Sechs Stücke für Orchester op. 6 in der Kammermusikfassung lösten als vorletzter Programmpunkt mit frenetischem Jubel einen vorgezogener Schlussapplaus aus. Emilio Pomàrico führte das Klangforum Wien so sensibel durch die sechs Sätze, dass ihre romantische Schönheit bei aller gerafften Struktur das gesamte Auditorium spürbar in ihren Bann zog. Aus dem Nichts wächst der Trauermarsch in feinster Raumtiefe von Cassawirbel und Glockenraunen, um am Ende des Satzes zu einem distinguiert schreienden Pomposo anzuschwellen. Während die erreichte Lautstärke hier ein punktuelles Ereignis für alle aufgeführten Webern-Stücke bildet, ist dieser Level bei Dusapin über weite Strecken Dauerereignis.

Sein Concertino für Klavier und sechs Instrumente mit dem Titel Jetzt genau! Wurde mit gutem Grund entgegen der Programmvorgabe an den Schluss des Abends gesetzt. Es ist von seinen gegebenen Stücken das mit der interessantesten Binnenstruktur in der Interaktion zwischen Klavier und Harfe, Bassklarinette, Posaune, Kontrabass, Cello und Schlagwerk. Florian Müller eröffnet mit der Reperkussion auf einem Ton, in die die Mitspieler einfallen, die Ausweitung auf Tonräume erfolgt über Akkordstrukturen, Akkorde werden als Klaviersolo den Schluss bilden. Dazwischen ergibt sich ein wechselvoller Reigen im Zusammenspiel zwischen den Partnern, wobei das Klavier seine dominante Rolle behauptet.

Wenn Dusapins Musik eingesetzt hat, geht sie eisern durch. Attacca für zwei Trompeten und Pauken eröffnet das Konzert als Dreiecksfanfare im absatzlosen Dauerschleifduett mit Melodiefloskeln, die untereinander auch imitiert werden. Die Pauke wirbelt und gibt einen reich ausladenden Tonreigen als Untergrund. Ohé, ein Duett für Klarinette und Violoncello, bildet ein ausgedehntes Interaktionsplateau zwischen Soloelegien und kontrapunktischen Strukturen von Ruffloskeln bis Klezmer, ähnlich Cascando für acht Instrumente, das seinen Klangreichtum aus der Gegenüberstellung von Kontrabass, drei Blech- und vier Holzbläsern bezieht. Coda für 13 Instrumentalisten kennt sogar einige kurze Abschnitte mit Generalpausen zu Beginn.

Während man Dusapin als Komponist freies Überschäumen und lässige Kontrolle über das Material attestiert, steht die keusche Zurückhaltung der disziplinierten Haltung Weberns dem völlig entgegen. Seine Symphonie für Klarinette, Bassklarinette, zwei Hörner, Harfe und Streichquartett op. 21 atmet in der lichten Binnenstruktur der jeweiligen Reihenausarbeitung. Ganz fein und diffizil schillern die Klangfarben bei gezielt eingesetzter Spieltechnik. Eine Applausaufforderung Pomàricos ist nötig, um den witzigen Schluss zu bestätigen. Ungemein wohltönend das Quartett für Violine, Klarinette, Tenorsaxophon und Klavier op. 22, lebendig in seiner agogischen und dynamischen Differenziertheit und gewürzt mit komischen Effekten.

Möglicherweise hat das Konzert einen Paradigmenwechsel bestätigt. War man lange Zeit gewohnt, gegen den Vorwurf des Mangels an Zeitgenössischem Webern als Programmfeigenblatt eingesetzt zu hören, ist er als Klassiker angekommen, bei dem nicht mehr nachvollziehbar ist, dass sich Publikum seiner Musik wegen abgewatscht hat. Auch Dusapin ist kein Vertreter einer verschreckenden Moderne. Es ist der musikalische Gestus, der die Welten der beiden Komponisten trennt.

Hörfunkübertragung am 12. August um 23.03 in Ö1 (Zeit-Ton)
Bilder: SF / Marco Borelli