Nicht besonders

FESTSPIELE / HINTERGRUND / EVGENY TITOV

09/07/19 Als Evgeny Titov im vergangenen Jahr mit dem Bus auf die Perner-Insel gefahren ist, um die Generalprobe von Frank Castorfs Hunger zu sehen, habe er noch nicht geahnt, dass er im Jahr darauf im gleichen Bus sitzen werde – diesmal aber, um sein Debüt als Regisseur von Gorkis Sommergästen bei den Salzburger Festspielen zu geben.

Von Anne Zeuner

Die ursprünglich geplante Regisseurin, Mateja Koležnik, musste aus gesundheitlichen Gründen die begonnene Arbeit sofort niederlegen. Evgeny Titov hatte deshalb fünf Wochen vor Probenbeginn für Maxim Gorkis Sommergäste einen Anruf bekommen. Am anderen Ende war die Leiterin des Schauspiels der Salzburger Festspiele, Bettina Hering, mit der Frage, ob er einspringen könne. „Das war eine riesige Überraschung für mich“, sagt der Regisseur, der aber sogleich zusagte und das Ensemble samt fast fertigem Bühnenbild übernahm. „Nur nicht daran denken, dass ich für die Salzburger Festspiele inszeniere“, habe er am Anfang wie ein Mantra vor sich hingesagt und sofort angefangen mit seiner Dramaturgin, Janine Ortiz, am Text zu arbeiten. Fünf Tage lang haben sie sich in ein Zimmer eingesperrt und Satz für Satz Übersetzungen verglichen, um eine Textfassung zu erarbeiten.

Mittlerweile sind drei Probewochen vergangen. „Das allerwichtigste ist mir, dass das Ensemble trotz aller Unterschiedlichkeiten der 15 Schauspielerinnen und Schauspieler zusammenwächst“, sagt Evgeny Titov. Das Bühnenbild, das er zusammen mit dem Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt durch einen „entscheidenden Kniff“ zu seinem eigenen gemacht habe, sehe er als starken Partner in der Inszenierung. Sommergäste ist ein selten inszeniertes Stück – „vielleicht, weil man es immer in Zusammenhang mit der Revolution und mit 1904 sieht“, sagt Titov. Der in Kasachstan geborene und St. Petersburg zum Schauspieler ausgebildete Regisseur, glaubt aber nicht, einen besseren Zugang zu dem russischen Autor zu haben, als es etwa ein deutscher Regisseur hätte. „Ich denke vielmehr, dass die Kunst immer etwas mit Empfindung und Intuition zu tun hat. Manchmal kann es vielleicht sogar hinderlich sein, wenn man schon zu viele Bilder und Assoziationen zu einem Schriftsteller hat.“ Daher vertrete die Meinung, dass es eine individuelle Sache sei, ob man einen Autor verstehe oder nicht, unabhängig von der Herkunft.

Dass das Leben oft Überraschungen bereithält, hat Evgeny Titov in seiner eigenen Biografie oft erlebt. Nachdem er mit der Schauspiel-Ausbildung fertig war, wurde er Mitglied im Ensemble in St. Petersburg. „Als ich in Kasachstan war, habe ich schnell gemerkt – ich will weiterkommen im Leben. Als ich dann in St. Petersburg war, ging es mir nach einiger Zeit genauso. Ich war seit 15 Jahren Schauspieler und wusste, ich will noch mehr erreichen“, sagt er. Bereits mit 21 Jahren habe er nächtelang durchgearbeitet, um nur für sich selbst etwa Anton Čechovs Die Möwe zu analysieren. Und oft habe er das Gefühl gehabt: „Ich habe das Stück verstanden und keiner weiß das.“ Mit 30 Jahren intensivierte sich der Drang nach Wissen und Ausbildung und so entschloss er sich Regie zu studieren und sich am Max Reinhardt-Seminar in Wien zu bewerben, wurde aber in der letzten Runde abgelehnt. „Ich wusste aber – das ist es, was ich im Leben machen möchte“, sagt Evgeny Titov. Also bewarb er sich erneut im Jahr darauf und wurde nicht nur aufgenommen, sondern gleich ins zweite Jahr versetzt.

Gorki selbst schrieb über die Uraufführung der Sommergäste: „Die Aufführung der Sommergäste war ein Skandal und ich bin zufrieden. Das Stück ist nicht besonders, aber ich habe getroffen, wohin ich gezielt habe!“ – Ob er das Stück ebenfalls als „nicht besonders“ betrachte, möchte Schauspiel-Leiterin Bettina Hering wissen und ob ein Theaterskandal mehr zähle als die Qualität eines Stückes. „Es ist eine gute Frage, ob das Stück nur dann relevant ist, wenn es einen Skandal hervorruft“, sagt Evgeny Titov. Es wäre platt, das Stück so zu inszenieren, dass es sich nur mit einer bestimmten gehobenen Schicht auseinandersetze. Ein größerer und schwierigerer Ansatz sei es, die ganze Gesellschaft zu betrachten. „Wir alle sind Sommergäste, solange wir nicht handeln. Viele reden nur und tun nichts, obwohl sie die Probleme der Zeit ganz genau benennen können“, sagt der Regisseur. Er wolle das Publikum aktivieren, sich mit den individuell relevanten Weltproblemen auseinanderzusetzen. Die Gesellschaft ertrinke heute in der Besprechung von Problemen. Gorki sei ein guter Spiegel, um zu untersuchen, was den Einzelnen einer Gesellschaft zurückhalte, tätig zu werden und etwas zu verändern, stimmt die Dramaturgin Janine Ortiz ihm zu. „Bei sich selbst mit der Veränderung anzufangen ist das Schwierigste. Es ist einfacher auf eine Demonstration zu gehen und zu denken, ja, sie haben Recht“, sagt Evgeny Titov. „Ich möchte in meiner Inszenierung allerdings nicht mit erhobenen Zeigefinger aufzeigen, ich möchte vielmehr jeden Einzelnen zum Nachdenken anstoßen.“

Interessant ist auch das on Gorkis Text präsentierte Rollenbild. Als selbstverständlich wird im Verlauf des Stückes artikuliert, dass die Frau dem Mann untergeordnet sei und ihre Erfüllung in der Schwangerschaft finde, um sicherzustellen, dass sie nicht nach zu viel Veränderung strebe. Evgeny Titov sagt, er wisse noch nicht, wie er mit diesen Sätzen umgehen solle. Er habe mit dem Ensemble bereits hitzige Diskussionen geführt und ließ beim TerrassenTalk offen, wie die Lösung auf der Bühne nun sein werde. (SF / dpk-jw)

Sommergäste von Maxim Gorki -  31. Juli bis 8. August bei den Salzburger Festspielen - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF/Anne Zeuner