Rhythmus braucht das Theater

FESTSPIELE / DIE PERSER

20/08/18 Vier Stunden heißt es durchzuhalten: Das Schauspiel Frankfurt hatte am Samstag mit einer Produktion der „Perser“ von Aischylos im Salzburger Landestheater Premiere. Ulrich Rasche zeigt Maschinentheater ohne eine Minute Stillstand.

Von Werner Thuswaldner

Auf der Halleiner Perner-Insel werden vor der Aufführung von „Hunger“ jeweils Wasserflaschen verteilt. Übrigens einer der besten Regieeinfälle des langen Abends. Im Salzburger Landestheater bekommt man, bevor „Die Perser“ von Aischylos loslegen, Ohrenstöpsel. Man hat als Zuschauer trotzdem Skrupel, während der Aufführung davon Gebrauch zu machen, weil es nicht höflich wäre gegenüber den Darstellerinnen und Darstellern, die ihren vielen Text ja nicht auswendig gelernt haben, damit er dann durch Ohrenstöpsel ausgeblendet würde. Also setzt man sich dem Risiko aus, das Trommelfell zu schädigen.

Obwohl: Regisseur und Ausstatter Ulrich Rasche hat nicht nur akustisch Ungewöhnliches zu bieten, sondern auch optisch. Er lässt die alten Griechen nicht bloß herumstehen, höchstens schreiten und deklamieren. Nein, er hält sie in dauernder Bewegung und – zusammengerechnet – gewiss kilometerlange Wege gehen. Sie gehen und gehen und bleiben auf der Stelle, denn sie stehen auf einer weit ins Publikum hineinreichenden Scheibe, die sich dreht. „Bewegung immer, Stillstand nimmer“, hätte Walter Ulbricht gesagt. Von diesen Scheiben gibt es zwei. Die im Vordergrund ist dem Ältestenrat der Perser – dessen Mitglieder sind bei Rasche nicht alt und außerdem zwei schwarz gekleidete Frauen (Katja Bürkle, Valery Tscheplanowa), aber das macht nichts. Und die Mutter von König Xerxes, Atossa (Patrycia Ziolkowska) ist auch bei ihnen. Gemeinsam beklagen sie heftig und ausdauernd die überraschende Niederlage der Perser in der Schlacht von Salamis gegen die Griechen.

Die zweite Scheibe im Hintergrund ist den Soldaten vorbehalten. Sie ist wandelbar, kann flach erscheinen und sich schräg aufbäumen. Hier spielt Rasche eine bemerkenswerte Fähigkeit aus. Es ist die Begabung eines Maschinenbauers, der jederzeit bei Thyssen-Krupp Anstellung finden könnte. Er spielt sich mit den Scheiben, baut gut ausgeleuchtete Räume mit ihnen und lässt keine Minute Stillstand aufkommen. Alle Elemente, die das Theater ausmachen, werden mobilisiert. Eine mit elektronischen Mitteln aufgemotzte Musikergruppe (Schlagwerke und Bratsche) legt einen dichten Soundteppich, und immer wieder steuert ein Chor bedrohlich klingenden „Gesang“ bei.

Wichtig ist für Rasche, dass alle diese Elemente einen konstanten bohrenden Rhythmus ergeben, der das Theater in den Grundfesten erbeben lässt. Hier ist Durchhaltevermögen des Publikums stark gefragt. Wer sich jahrelang in der Disco abgehärtet hat, ist im Vorteil. Die Texte werden in kleine, langgezogene Häppchen zerlegt – wie wenn jemand zum Mitschreiben diktiert. Gegen Durs Grünbeins Übertragung ist, so weit sie verständlich ist, nichts einzuwenden. „Wer von unseren Jungs hat das Heer angeführt?“ Das ist eine der Flapsigkeiten, von denen sich der Übersetzer einige leistet. Die Frage klingt, als hätte sie ein Fußballtrainer von heute gestellt.

Der Sinnzusammenhang scheint im Verhältnis zum Rhythmus nicht sonderlich wichtig zu sein. Der muss rücksichtslos exekutiert werden. In dieser Disziplin erweisen sich die vielen Krieger als besonders tapfer. Sie kommen dutzendweise vor, tragen schwarze Höschen und haben aufgemalte Schrammen. Sie sehen aus wie Kinder, die nach langem Indianerspielen verdreckt wieder ins Haus kommen.

Was es mit den „Persern“ auf sich hat, dass Aischylos die moderne Demokratie über ein autokratische System siegen lässt, dass Krieg, betrieben von Psychopathen, grausam und sinnlos ist, aber seit Aischylos niemals Gefahr lief, ausgerottet zu werden, über all dies lässt sich in vielen gescheiten Büchern nachlesen. Rasche ging es nicht um theoretische Überlegungen, sondern um sinnliche, auch quälende Erfahrungen, die er dem Publikum gnadenlos beibringt. Jener Teil, der vier Stunden lang durchgehalten hat, zeigte am Ende übermütige Begeisterung.

Aufführungen bis 27. August – www.salzburgerfestspiele.at
Im Schauspiel Frankfurt ab 28. September – www.schauspielfrankfurt.de
Bilder: Salzburger Festspiele / Bernd Uhlig