Kaltes Feuer, vokale Intensität

FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / SALONEN

06/08/18 Ein „Philharmonisches“, wie es sein soll. Die „Wiener“ sorgten gemeinsam mit Esa-Pekka Salonen am Pult und der wundersamen Sängerin Marianne Crebassa am Sonntag (5.8.) eine glanzvolle Matinee im Großen Festspielhaus, die zu Recht in stehenden Ovationen mündete.

Von Gottfried Franz Kasparek

Es gibt Stücke, die wirken vor allem durch ihren effektvollen Schluss, wozu Béla Bartóks Konzertsuite aus der Ballett-Pantomime „Der wunderbare Mandarin“ zu zählen ist. Dies war das Ende eines schönen dramaturgischen Bogens, der mit einem Werk begonnen hatte, das seinen größten Effekt am Anfang macht: „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss. Dazwischen gab es Luciano Berios „Folk Songs“ zu hören, eine Kostbarkeit, in der folkloristische und andere volkstümliche Lieder aus West und Ost zu einem delikaten Klangpoem über Liebe, Lust und Leidenschaft gebündelt werden. Was durchaus Berührungspunkte zu den wilden Opfertänzen des lüsternen Mandarins hatte.

Esa-Pekka Salonen ist ein uneitler Meister des Taktstocks, der mit souveräner Technik durch die expressiven Tonbilder dieses Programms geleitet. Erfrischend, wie transparent und in gläserner Kühle die Nietzsche-Phantasien vorüberziehen, ganz ohne Bombast, auf den Punkt genau mit gesundem Effekt musiziert. Natürlich spielen die Wiener Philharmoniker ihren Richard Strauss ohnehin in edelster Schönheit, aber selten mit so klarer Energie. Lyrisches darf dabei romantisch leuchten, etwa in den sensiblen Soli der Konzertmeisterin Albena Danailova. Aber in den fein ziselierten Ballungen des Klangs entsteht erstaunliche Modernität. Wer die Aufnahmen des alten Strauss kennt, weiß, dass es eigentlich so gedacht war. Pulsierende Dramatik, oft kaltes Feuer, nur punktuell und dann desto wirkungsvoller aufrauschende Gebärde – all dies macht Salonen faszinierend hörbar.

Nacht der Pause dann die „Folk Songs“, Kammermusik für kleines Orchester, aufs Feinste schattiert. Dirigent und Orchester legen einen farbenfrohen Klangteppich für eine der schönsten Stimmen der Gegenwart, nämlich den Mezzosopran der Marianne Crebassa. Die grazile französische Singschauspielerin hat keinerlei Probleme mit Sizilanisch, Sardisch, Armenisch, dem alten Dialekt der Auvergne und dem finalen Phantasie-Aserbaidschanisch, alles Sprachen, die Berio hier neben Englisch, Französisch und Italienisch seiner Frau Cathy Berberian in die geläufige Gurgel geschrieben hat. Es lebe die Vielfalt europäischer Kultur - und hin und wieder lugen die Salonmusik-Vorfahren dem Avantgardisten Berio fröhlich über die Schultern. Die Crebassa singt das nicht bloß einzigartig schön mit dem wohlig-sinnlichen Timbre ihrer Edelstimme, sondern auch mit dem Charme einer Diseuse, mit Eleganz, Witz und in einem Gesang wie dem Klagelied einer Nachtigall mit dezenter Wehmut.

Bartóks Pantomime machte anno 1926 in Köln handfesten Skandal, wohl eher wegen der symbolistischen Schauergeschichte im Rotlichtmilieu als wegen der im Grunde tonalen Musiksprache. Die Dissonanzen erscheinen heute erst recht harmlos, die Motorik zündet in Grenzen, die Lockspiele des käuflichen Mädchens erfreuen mit jazzigen und bluesigen Bläsersoli das Orchester und das Publikum. Wirklich stark wird diese kunstvoll primitive Musik am Ende der Suite, wenn der Mandarin mit wütenden Rhythmen in den Tod gejagt wird. Dieses Finale feuerten Salonen und die Philharmoniker mit einer derartigen Verve in den Raum, dass der Jubel kein Ende nehmen wollte.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli