Mystische Klangströme und Auflösungen

FESTSPIELE / FURRER / KLANGFORUM / TALLIS SCHOLARS

01/08/18 Im zweiten Abend der Serie „Zeit mit Furrer“ am 31. Juli in der Kollegienkirche flankierten zwei Stücke Beat Furrers die „Missa pro defunctis“ des Tomás Luis de Victoria und Solistinnen und Solisten des Klangforums Wien das britische Vokalensemble „The Tallis Scholars“. Inmitten der heißen Stadt war die wundersame Kirche eine Insel der Kühle und der Kontemplation.

Von Gottfried Franz Kasparek

Tomás Luis de Victoria, der spanische Meister der späten Renaissance, hat mit seinem Requiem ein über den Zeiten stehendes Werk geschaffen. Diesen spirituellen, wahrlich dunkel leuchtenden Klangströmen kann man sich nicht entziehen. Aus Konsonanz und Dissonanz entsteht ein zauberisches, sechsstimmiges Gespinst, basierend auf einer suggestiven

Choralmelodie, kontrapunktisch verwoben und dennoch direkt ans Herz greifend. „The Tallis Scholars“, fünf Damen und sieben Herren unter der Leitung des Gründers Mark Phillips, bieten edelste vokale Kunst. Wie da die Bässe sonore Kraft und die Soprane silbernes Strahlen verbreiten, ist nicht bloß perfekt, sondern von verinnerlichter Schönheit. Und passt exquisit in den sensibel ausgehorchten Klangraum der Kirche mit ihren luftigen Akustiksegeln.

Beat Furrer liebt diese Messe, die Geräusche der Natur in seinem Refugium im Gesäuse und spielt zur Entspannung gerne Beethoven am Klavier. Beat Furrer mag auch den Flamenco und sieht sich selbst in einer innovativen Weiterführung der Tradition. Zweifellos ist es dem Wahlösterreicher aus der Schweiz gelungen, eine unverkennbare, unverwechselbare musikalische Sprache zu finden, die wohl in seinen Stücken für das Musiktheater kulminiert.

Die anfangs dargebotene „invocation VI“ für Sopran und Bassflöte ist denn auch eine aus der Oper „Invocation“ heraus gelöste Szene. Der vertonte geistliche Gesang von Victorias Zeitgenossen Juan de la Cruz erzählt von schmerzensreicher, nicht nur geistlicher Liebe. „Enthülle mir deine Gegenwart, auch wenn dein Anblick mich tötet“, so das Ende des akzentuierten Flüsterns mit einzelnen Belcantotönen, in welche Furrer diese emotionale Arie neuer Art kleidet. Die Sopranistin Katrien Baerts und die Flötistin Eva Furrer machen das mit dezenter Microport-Unterstützung zu einem faszinierenden Seelengemälde.

Beat Furrer verwendet gerne alte Formen und lädt diese mit seiner diffizilen Klangkunst neu auf. Ein Paradebeispiel dafür ist sein 2016 in Florenz uraufgeführtes Klarinettenquintett „intorno al bianco“, zu übersetzen etwa mit „um das Weiße herum“. Das Weiße ist ein insistierend glitzernder Streicherklang, in den sich die mystisch gurgelnde Klarinette erst langsam hineinfügt. Nach einer guten Viertelstunde voll perlendem Glasperlen-Tonspiel kann man das Kratzen, Sägen, Schaben und Hupen des Finalteils auch als Befreiung empfinden. Ein „zerhacktes Auflösungsfeld“ von Tönen, um das Programmbuch zu zitieren, das sich ins Nichts verflüchtigt. Konziser und ausdrucksstärker wie die Geigerinnen Gunde Jäch-Micko und Sophie Schafleitner, der Bratscher Dimitrios Polisoidis, der Cellist Benedikt Leitner und der Klarinettist Bernhard Zachhuber kann man das nicht spielen. Dementsprechend begeistert reagierte die anwesende Furrer-Fangemeinde.

Der Festspiel-Zyklus „Zeit mit Furrer“: www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli