Sterben mit Understatement

FESTSPIELE / JEDERMANN

23/07/18 Das Kleid der Buhlschaft hat keine eigene Pressekonferenz bekommen. In einer künftigen Ausstellung „Die Kleider der Buhlschaft“ wird das schlichte Ensemble ebenso eine Leerstelle markieren, wie die sympathische Gespielin des Jedermann mit ihrem strahlendem Lächeln auf der Bühne. Den „Jedermann“ 2018 schultert – fast ganz – allein der Jedermann Tobias Moretti.

Von Heidemarie Klabacher

Und wieder Pech mit dem Wetter. Wie im Vorjahr die Premiere der Neuinszenierung von Michael Sturminger, fand auch die Wiederaufnahme am Sonntag (23.7.) Indoor statt. Mit zunächst dramatischem Ergebnis.

Zu einer „Freiluft-Aufführung“, und sei es des namhaftesten Festivals der Welt, bringt man deutlich weniger Erwartung an Textverständlichkeit und darstellerisches Raffinement mit, als in den geschlossenen Rahmen eines professionellen Bühnenraumes. Wenn das Haus dann ausgerechnet das Große Festspielhaus ist, ohnehin nicht der meistgebuchte Raum für Sprechtheater, ist die Fallhöhe der Erwartung hoch.

Die Tischgesellschaft, nach wie vor eine Art Seitenblick-Aufnahme irgendeines beliebigen Society-Events, die steifen Bewegungen der hausbacken gewandeten Damen, das gewollt lockere Gebaren der anzugtragenden Herren, die Referate über Würde und Wert von Geld – da hilft nicht einmal ein Tobias Moretti, den quälenden Eindruck einer Nach-Aufsichtsrats-Sitzungs-Sektjause abzumildern.

Zum Glück tritt alsbald der Tod den Menschen an.

Sobald die Menschen verschwunden sind – nachwinkender Dank an Dicken und Dünnen Vetter von Hannes Flaschberger und Stephan Kreiss – entwickelt dieser „Jedermann“ packenden Sog. Gut, der Teufel von Hanno Koffler irritiert noch einmal die Intensität an der Grenze zwischen den Welten. Aber sein Trost-Suchen im Schoß des Glaubens von Johannes Silberschneider angesichts der entwischenden Beute ist noch immer eine witzige Pointe. Edith Clever als Jedermanns Mutter möchte man ohnehin gerne dem überirdischen Personal zurechnen, so bewegend sind ihre Appelle und ihre schlichte Darstellung.

Man hätte das Stück in dieser Lesart gleich mit der Begegnung Jedermanns mit seinen Guten Werken beginnen und den selben Effekt erzielen können. Das leitmotivische Auftreten des grandiosen Peter Lohmeyer als Tonbandstimme des Herrn, Spielansager und Tod wäre dann die dramaturgische Klammer. Man vergisst ohnehin alles, was vorher war in dem Augenblick, in dem es eng wird für den Jedermann. Tobias Morettis überaus zurückhaltende Darstellung von Todesangst, Reue und Ergebung ist ganz einfach große Schauspielkunst. Hier ist auch die Regie von Michael Sturminger am Stärksten, wo sie ganz auf Unterstatement setzt. Alles Pendeln und Zocken zwischen Aktualisierung und Traditionspflege wird in solchen kostbaren Augenblicken sekundär.

Hinfällig - „bresthaft“ ist wohl das richtige Wort in diesem Kontext – und dann mit einem Sprung agil wie ein untotes Wesen in einem modernen Gruselfilm, agiert Mavie Hörbiger als Werke, bis sie endlich die Aufmerksamkeit Jedermanns hat. Danach hockt sie, ein Bein baumelnd lassen, als ganz heutige, gar nicht wehleidige Figur an der Rampe. Selten ist eine „Aktualisierung“ so gelungen, wie dieser Blick auf die Guten Werke.

Das gilt auch für das Raum- bzw. Bühnenkonzept von Renate Martin und Andreas Donhauser, das mit seinen schlanken Licht-Bögen, die die Dom-Archiktektur zugleich aufgreift und subtil verfremdet. Ebenso sinnfällig und zwischen Archaik und Moderne genial changierend, sind die Videoprojektionen auf die Podest-Basis von Jakob Barth. Wie etwa aus den frühchristlichen Heiligenfresken mit dem Auftritt des Teufels gehörnte Monster werden, die fatal dem prächtigen Wappensteinbock von Fürsterzbischof Markus Sittikus von Hohenems ähneln – genial gemein, kann man da nur sagen.

Bilder: SF/Matthias Horn