Mephisto und sein Dies irae

FESTSPIELE / MUSICAETERNA / MOZART-REQUIEM

24/07/17 Teodor Currentzis, dieser hagere schwarze Kerl, lässt ein wenig an Mephisto denken. Die leuchtend roten Schuhbänder machen ihn in hohem Maß des Diabolischen verdächtig. Himmel, da hat sich der Gottseibeiuns des Mozart'schen Requiems bemächtigt!

Von Reinhard Kriechbaum

Man kann – und soll, ja muss manchmal – Musik auch mit den Augen hören. Dafür bieten Teodor Currentzis und seine musicAeterna-Ensembles aus dem fernen Sibirien allerbeste Voraussetzungen. Currentzis hat mit seinen Gesten die Musiker so sicher und bestimmend im Griff, wie er damit die Zuhörer betört. Aber bitte: Ohren trotzdem offen lassen, es zahlt sich aus!

Die Ohren beginnen nämlich im ersten Takt schon zu flattern, wenn die Klarinetten und das Fagott in der Orchestereinleitung des Mozart-Requiems eben nicht eine langsam erblühende Melodie, sondern gleich mal einen inbrünstigen Seufzer hören lassen, der gleich wieder in sich zusammenfällt. Und das „Re-qui-em“ des Chores kommt auch nicht breit und im Forte daher, sondern ist aufgebrochen durch eine lebhafte Messa di voce, also ein An-und Abschwellen jedes einzelnen Tones. Und so wird es fünfzig Minuten lang weiter gehen: Nicht eine Phrase klingt in dieser außergewöhnlichen Lesart auch nur entfernt so, wie man sie im Ohr hat.

Aber der Reihe nach. Da kommen also die Instrumentalisten und der Chor aufs Podium der Felsenreitschule. Sie tragen schwarze Mönchsgewänder. So halten sie's, wenn sie geistliche Musik spielen. Eine äußere Anmutung von Geistlichkeit, natürlich, es sieht aber schon auch gut aus. Die Solisten brauchen die Verkleidung nicht mitzumachen, und Teodor Currentzis nimmt sich auch eine kleine Extravaganz heraus mit den Schuhbändern.

Den Requiem-Introitus, die Kyrie-Rufe: Die lässt er denkbar verhalten intonieren,wie überhaupt das überrumpelnde Piano in dieser Wiedergabe sehr entscheidend und ein dramaturgisches Hilfsmittel per excellence sein wird. Durchaus auch im „Dies irae“, das Currentzis ohne die kleinste Atempause ans Kyrie anknüpft, auf die Bitte um Erbarmen also niederschmetternd mit den Gräueln des Jüngsten Gerichts droht.

Auch wenn man zuerst den Eindruck gewinnt, sich Mephisto persönlich als Wegbegleiter eingehandelt zu haben: Da ist ein feinsinniger und zugleich extravaganten Lösungen nicht abholder Musiker am Werk. Einer, der Mozart als Dramatiker auch in der Kirchenmusik Note um Note genau nimmt, gleichsam nach den Bühneneffekten sucht. Der „Rex tremendae majestatis“ steht schon allmächtig da, aber es ist kein zermalmender Gott (eine unglaublich plastische Zeichnung der Polyphonie durch lebhafteste Messa di voce). Dieser himmlische Rex lässt das zaghafte „Salva me, fons pietatis“ der Frauen sehr wohl zu. Das „Recordare Jesu pie“, ein Appell an den gütigen Gott, wird unter Currentzis' Händen zu einer Vokal-Kammermusik des Solistenquartetts vom denkbar Feinsten und Fragilsten.

Wie allein diese vier Stimmen – Anna Prohaska, Katharina Magiera, Mauro Peter, Tarq Nazmi – aufeinander bezogen, zueinander gewichtet sind: Dahinter waltet wirklich kein Showmaster, sondern ein zwar querdenkerischer, aber auch streng und gezielt kapellmeisternder Frei-Geist. Ergebnisse sind dann ein „Lacrimosa“ von überirdischer Schönheit, oder ein „Domine Jesu Christi“, in dem das Befreien von den Strafen der Hölle mit rabiater Energie eingefordert wird.

Ein ziemlich vielversprechender Weg jedenfalls ins Jenseit Am Ende bleibt eben wieder die Verheißung auf ein ewiges Licht, unter dem das Gedränge der Heiligen („cum sanctis tuis in aeternum“) ziemlich sagenhaft, aber von Teodor Currentzis gut organisiert zu sein scheint.

MusicAeterna, die Sänger und Originalklang-Instrumentalisten aus dem fernen Perm, wissen jeden Wink ihres Leiters recht zu deuten. So umwerfend turbulent und sagenhaft originell vieles war in diesem Requiem: Die außerordentliche Piano-Disziplin hat sich besonders eingeprägt. Gespielt wurde die Süßmayr-Fassung. Standing ovations schließlich, die Botschaft ist wohl angekommen.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marina Dmitrieva