Aus dem Rahmen

FESTSPIELE / FILARMONICA DELLA SCALA / RICCARDO CHAILLY

23/08/16 Dass ein in Salzburg gern gesehener Dirigent sein von ihm neu übernommenes Orchester präsentieren möchte, ist verständlich. Die Programmwahl von Riccardo Chailly zum Debüt – auch mit einigen Raritäten – war indes dazu angetan, auf Unverständnis zu stoßen.

Von Horst Reischenböck

35 Jahre jung ist die Filarmonica della Scala, ein „Ableger“ von Mailands berühmtem Opernhaus. Sie darf auf international renommierte bedeutende Landsleute als Leiter zurückblicken: Auf den Gründer Claudio Abbado folgte Carlo Maria Giulini, im Vorjahr trat Riccardo Chailly, der dem Gewandhaus Orchester Leipzig vorzeitig den Rücken kehrt, die Nachfolge von Riccardo Muti als Chefdirigent an. Mit nun seiner Filarmonica della Scala trat er am Montag (22. 8.) nun erstmals im Großen Festspielhaus auf: das Orchester in bei uns schon anachronistisch amerikanischer Aufstellung und mit einer Werkwahl, die mit ihrem Fokus auf italienische Komponisten zwar Neugier weckte, aber in sich mehrheitlich eher unlogisch dünkte.

Joseph Haydn sagte einst, in Italien sei man nicht imstande, seine Sinfonien zu spielen (was inzwischen hinlänglich widerlegt wurde). Und seine italienischen Zeitgenossen schufen die Mehrheit ihrer Symphonien denn auch nicht in ihrer Heimat: Luigi Boccherini erhielt im spanischen Avilá Aufträge vom preußischen König, Wolfgang Amadé Mozarts Konkurrent im Pianisten-Wettstreit, Muzio Clementi, veröffentlichte seine Beiträge in London und animierte dort auch Luigi Cherubini (um dessen Sakralwerke sich Riccardo Muti Meriten erwarb) zur Komposition einer einzigen Sinfonie.

Boccherini wie Cherubini verehrten Haydn (letzterer schuf sogar eine Kantate auf dessen Tod, als die Kunde vom Ableben des Bruders Michael durch Europa drang). Was seine einzige Sinfonie - D-Dur, die er später auf ein Streichquartett reduzierte - interessant macht, ist im Vergleich zu den Wiener Klassikern, die darin zutage tretende Emanzipation vor allem der Holz-Bläser. Deren Parts wurden von den Mitgliedern der Filarmonica weidlich zur Demonstration ihres Könnens genutzt. Cherubini instrumentierte ausgezeichnet, von seinem Schulwerk wurde indes, weil in schlechtem Französisch, wenig Notiz genommen. Auch der Sinfonie mangelt Nachhaltigkeit. Thematisch scharren ihre vier Sätze eher auf der Strecke: Es bleibt keine Melodie wirklich im Gedächtnis haften. Genauso wenig seine „Ouverture da concerto“, die in voller Großbesetzung mit nicht weniger als neun Kontrabässen erklang: Antizipation des Genres vor Felix Mendelssohn, aber insgesamt auch bloß ein viertelstündiger Leerlauf. Demgegenüber hinterließ Cherubini etwa mit seinen beeindruckenden Ouvertüren zu „Medea“ oder „Anacreon“ weit Zwingenderes.

Da half auch Riccardo Chaillys engagiert ambitioniertem Einsatz vom feuerrot-gekleideten Pult nicht viel. Das Divertissement der „Vier Jahreszeiten“ aus der Oper „Die sizilianische Vesper“ weist Giuseppe Verdi nicht unbedingt als bedeutenden Ballettkomponisten aus, auch wenn statt der Tuba eine rare Bassposaune zum Einsatz kommt.

Tanz war damals in Pariser Opern-Aufführungen unverzichtbares Muss: Dem hatte auch Rivale Richard Wagner im „Tannhäuser“ Tribut zu zollen. Bei Verdi bleibt ohne Szene allerdings wenig nachhaltiger Eindruck. Und selbst bei allfälligen - insgesamt raren - Aufführungen wird auf die die Handlung hemmende Tanzeinlage eher darauf verzichtet. Die zündende Ouvertüre hingegen ist nach wie vor ein absoluter Renner.

Sie wurde auf den endlich vom offiziellen Schlusspunkt provozierten stürmischen Beifall hin nachgereicht. Den Schlussbeifall garantierte Gioacchino Rossinis publikumswirksame Ouvertüre zu „Wilhelm Tell“, die in ihrer Abfolge wie eine späte Reminiszenz an die alte Sonata da chiesa anmutet. Die einleitende Cellokantilene vibratoreich ausgespielt und süffig breit vom Streicherteppich gefolgt, nach der Tempesta genauso intensiv schön geblasen das Englischhornsolo und letztendlich aufgedreht das „Clockwork Orange“-Finale. Auch ohne herkömmliches Konzertschema: Das öffnete die Herzen, wer wollte da noch mehr?

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli