Mehr Corona, mehr Lockdown bitte

KOMMENTAR

Von Reinhard Kriechbaum

28/08/20 Außergewöhnliche Festspiele sind gut vorbei gegangen. Höchste Zeit, den Hauptakteuren Lob zu spenden: Das sind heuer nicht die Künstler und nicht die Veranstalter – sie gehen bloß ihrem Beruf nach. Lob also dem Publikum, das trotzdem gekommen ist.

So selbstverständlich war und ist das nicht. Das Maskentragen, die genaue Identifizierung beim Eintritt, keine Pausen – lauter Einbußen an Festspiel-Flair. Es hätte gute Gründe gegeben, heuer einfach daheim zu bleiben. Der Ballermann muss heuer ja auch ohne die meisten von uns auskommen. Und die Festspiele laufen nicht davon. Der nächste Sommer kommt bestimmt.

Sehr viele Leute haben nicht so gedacht, und dafür gebührt ihnen Anerkennung. Darf man taxfrei sagen, dass heuer der bessere Teil des Publikums da war? Jenes Viertel der üblichen Gäste, für das es sich eigentlich lohnt, Festspiele zu machen, das all die künstlerische Anstrengung auch wert ist?

Wer getraute sich das schon so hinzuschreiben. Aber es gibt Indizien. So gut wie keine Handtaschen-Knipserinnen und Bonbon-Raschler diesmal. Ganz wenig Handy-Gepiepse. Husten wird sowieso mit bösen Blicken geahndet. Die typischen Egomanen des schlechten Benehmens blieben heuer unhörbar, nicht ganz bei Florez, aber sogar bei Netrebko und Barenboim. Nicht mal bei Muti gaben sie Laut. Statt dessen: deutliche Konzentration, spürbare Gespanntheit. Auch vernünftiger dosierter (was nicht zwingend heißt: leiserer) Beifall. All das lässt auf mehr Verständnis für die eigentliche Sache schließen.

Wir sagen's nicht gerne: Die freien Sitze links und rechts waren angenehm. Wir hören ja heutzutage generell Musik in viel zu großen Räumen und viel zu dicht gedrängt. Bruckner und Brahms kannten nichts Größeres als den Goldenen Saal des Wiener Musikvereins, Beethoven nicht mal den. Wir tun so, als sei das Große Festspielhaus mit seinen mehr als zweitausend Plätzen der Musik zuträglich. Das ist es aber nur dem daraus geschöpften Erlös. Wie sich in diesen Wochen Abend für Abend zeigte, ist für die Musik auratisch schon sehr viel gewonnen, wenn weniger Menschen leibhaftig da sind. (Wir hören das Zähneknirschen jener, die für die Bilanzen zuständig sind.)

Und die Künstler? Man wird diese Ausnahme-Festspiele in Erinnerung behalten, weil auch auf den Podien Sammlung herrschte wie selten. Die Sängerinnen und Sänger, die Schauspielerinnen und Schauspieler, die Leute am Dirigentenpult wie jene an den hintersten Notenpulten – sie alle haben Monate des Nicht-Auftretens hinter sich. Erst zögerlich füllen sich wieder ihre Terminkalender, die sonst dicht beschrieben sind. Das ist ganz schlecht für die Geldbörsen, aber der Kunst hat die Ruhe unendlich gut getan. Das war an vielen, vielen Festspielabenden zu greifen.

Künftig also: Mehr Corona bitte? Mehr Lockdown zugunsten der Reflexion? Das sich zu wünschen wäre purer Zynismus den Kulturschaffenden gegenüber. Aber angeblich wird die Welt ja nach Corona eine ganz andere sein. Das wurde noch vor ein par Monaten gebetsmühlenartig wiederholt. Die Wirtschaft, der Tourismus führen uns gerade genau das Gegenteil vor. Vielleicht wären Kunst und Kultur jene Instanzen, die uns auf neue Wege führen könnten? Das müssten dann aber wirklich Wege und dürften keine Autobahnen im Stoßverkehr sein.

Viel verlangt von Festspielen, die dann zwangsläufig wieder – horrible dictu! – „elitär“ würden. Etwas Teures für wenige. Aber vielleicht etwas Wegweisendes. So etwas darf man heutzutage nicht ungestraft denken. Und drum fehlt uns eigentlich jeder Optimismus, dass sich die Festspiele 2021 wesenhaft von jenen im Jahr 2019 unterscheiden werden. 2020 wird die Ausnahme bleiben. Wir werden uns gerne dran erinnern.