Federleicht wie Stein
REPORTAGE / SOMMERAKADEMIE / STEINBILDHAUER
13/08/14 Eine Hühnerfeder, gehauen aus Untersberger Marmor! Auf ein so reizvoll ironisches Spiel mit Gewicht und Materie muss man erst kommen. Viel naheliegender ist es, einen Oberschenkelknochen in Stein nachzubilden. Beides jüngst gesehen im Kiefer-Steinbruch in Fürstenbrunn.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Material-Brechung im Hühnerfeder-Motiv lässt sich freilich noch toppen: Lukas Liese, ein junger Mann aus Berlin, hat sich eine bewegte Skulptur ausgedacht, die der Schwerkraft puren Hohn spricht. In zwei auf den Kopf gestellte Gurkengläser hat er kleine Ventilatoren eingebaut, die Steinstaub durcheinander wirbeln.
„Leicht wie Stein“ kann man da nur sagen und lernt, dass die Assoziation von Marmor mit Ur-Gewichtigem offenbar nur bedingt richtig ist. Elf Studierende der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst haben sich heuer auf Materialerkundungen eingelassen. Unter Anleitung des Bildhauers Peter Niedertscheider, der zum ersten Mal hier Kursleiter ist. Die Härte des Steins wird in solch regnerischen Zeiten, wie in diesem Sommer nochmal relativiert: Der Spaziergänger im Kiefer-Steinbruch, der an einem solchen Ort ziemlich festen Untergrund erwartet, muss durch viel Schlamm waten. Wenn am kommenden Freitag (15.8.) dort zum „Tag der offenen Tür“ geladen wird, sollte man sein Schuhwerk darauf einrichten.
Sie lege Wert darauf, dass auf der Sommerakademie auch „klassische“ künstlerische Techniken unterrichtet werden, erklärt Akademieleiterin Hildegund Amanshauser. Diese dürften ja keineswegs verloren gehen – und würden doch an den Kunstakademien oft gar nicht mehr gelehrt.
Im Fall der Steinbildhauerei ist es ja gar nicht so, dass im Zeitalter der performance oder der Konzeptkunst keiner mehr in solche übergewichtige künstlerische „Hardware“ investiere. Aber „wir müssen uns fragen, welchen Stellenwert Steinbildhauerei heute in der Kunstproduktion, aber auch im Kunstbetrieb insgesamt einnimmt, seit nur mehr ganz wenige Künstlerinnen und Künstler selbst in Stein arbeiten“. Heute geht man es nämlich so an: Man entwirft ein 3D-Modell am Computer, schickt die elektronischen Daten nach China oder Indien, wo das gewichtige Ding dann entsteht. Trotz weiter Transportwege sei das kostengünstiger, heißt es.
Der Zaungast beim Steinbildhauer-Symposion erfährt also, dass er völlig antiquierten, romantischen Vorstellungen aufsitzt: Die Zeiten, da die Bildhauer auf die Steinstruktur des jeweiligen Werkstücks unmittelbar reagierten sind offenbar passé.
Eben da hakt Peter Niedertscheider in seiner eigenen künstlerischen Arbeit ein. Er lebt und arbeitet in Lienz, bei Alfred Hrdlicka und Brigitte Kowanz hat er an der „Angewandten“ in Wien studiert. Niedertscheider hat für sich das Rilievo schiacciato der italienischen Frührenaissance wiederentdeckt. Übersetzt heißt das „gequetschtes Relief“. Ein Relief also, das mit wenig plastischer Überhöhung auskommt, in dem dafür die Linien und Furchen umso wichtiger sind.
In den Sommerakademie-Kursen geht es freilich nicht darum, dass ein Künstler den Eleven seinen Stil einredet. Die Leute kommen mit ganz unterschiedlichen Erwartungen hier her. Für sie habe sich die Frage gestellt, „was sie mit dem Sommer machen solle“, bekennt eine Architekturstudentin aus Deutschland freimütig, „und ich wollte etwas draußen machen“. Da ist das Steinbildhauen nahe liegend, aber jetzt, nach der vierten Kurswoche, merkt sie, dass das Material doch ziemlich widerständig ist.
Lukas Liese – das ist der junge Mann mit dem Steinstaub-Sturm im Gurkenglas – ist vom Fach, der Kunststudent ist dezidiert hierher gekommen, um neue Zugänge zu suchen, zu finden, auszuprobieren. Die junge Finnin Corinna Helenelund hat sich ein steinernes Selbstproträt vorgenommen. Im Regen steht sie draußen unter einem Schirm und legt letzte Hand an, glättet das fertige kleine Marmorgesicht. Daneben liegt das Modell aus Ton, das am Anfang der Arbeit gestanden ist.
Materialfragen, das Nachdenken über Gewicht und den Parameter Zeit bei der Arbeit stellen sich Steinbildhauern dauernd. Dass die Kursteilnehmer unmittelbar im historisch für Salzburg so bedeutenden Steinbruch wohnen, in den ehemaligen Arbeiter-Häusern, fördert den Diskurs und die Arbeitsatmosphäre.
Für einen Kollegen ist die Flex ein mindestens so wichtiges Werkzeug wie der Meißel. Ein anderer gießt Ausnehmungen im Stein mit Zinn aus und gewinnt so feine Skulpturen, die sich filigran verästeln und wie Puzzleteile in den Stein passen. Auch da spielen Begriffe wie „hart“ und „weich“ hinein. Für „Software“ steht im Kiefer-Steinbruch also nicht nur der weiße Gatsch am Boden.