Gulliver, Hamlet und der Hund von Baskerville

GALERIE ZWERGELGARTEN / NEUHAUSER / RIEDER

30/04/13 In eine Welt des Albtraums und der Ungeheuer, aber auch der literarischen Phantasie entführt die Ausstellung „Gemeinsame Phantasmagorien“ in der Galerie Zwergelgarten mit Arbeiten von Robert Neuhauser und Thomas Rieder.

Von Magdalena Stieb

531Robert Neuhauser und Thomas Rieder verbindet nicht nur die Stadt Salzburg, in der sie beide studiert haben und seit vielen Jahren leben und arbeiten, auch ihre Kunst entspringt ausschließlich der gemeinsamen Arbeit. Ob hinter großformatigen Leinwandarbeiten oder den den collageartig gefügten Holzpanelen dahinter steht ein Entstehungsprozess, den der Dialog über Bildkomplexe, Texte, Bedeutungsvarianten und freilich auch über Bildkomposition und Technik kennzeichnet.

Gerade die Tatsache, dass hinter jeder Arbeit die mehr oder weniger spielerische oder ernsthafte Auseinandersetzung und schließlich der kreative Konsens steht, macht die Umsetzung der vielfältigen Bildwelten von Neuhauser und Rieder zu einer außergewöhnlichen und äußerst bereichernden Form der künstlerischen Produktivität. Wie die beiden Künstler betonen, erstreckt sich die Zusammenarbeit auf alle Bereiche: Nicht nur reihen sich die Symbole oder „Icons“ in „Melancholia“ erst im Laufe des Gesprächs und Entwürfe auf eine am Ende ganz spezifische Art und Weise. Auch banale Entscheidungen sind unvermeidlich: Schließlich muss auch die Wahl der blutroten Farbe des Aquarellstiftes einhellig getroffen werden.

532In den Dialog treten allerdings auch zwei Ausdrucksformen, die schon in der künstlerischen Tradition in ein fruchtbares und für den Betrachter eindrückliches Verhältnis zueinander getreten sind: Literatur und bildende Kunst. Im ersten Raum der Ausstellung mit den in rot gehaltenen Leinwänden findet man sich in eine Welt der bizarren, oft kryptisch unheimlichen Figuren und Wesen versetzt, die nicht zuletzt an die verstörenden Kompositionen Alfred Kubins erinnern. Im zweiten Raum entfaltet sich nicht nur eine andere Form der Medialität, sondern auch der Bildthemen. In den Werken auf Leinwand, wie etwa „Terpentin“ oder „Hirsch“, spielen Bruchstücke aus Texten eine wesentliche gestalterische Rolle: Insofern Textlemente – man denke etwa an die in Mischtechnik gearbeiteten, albtraumhaften Papierarbeiten von Günter Brus – als Bildelemente dem Sujet eine verfremdende Wirkung verleihen.

In völlig anderer Weise machen sich Neuhauser und Rieder im zweiten Werkkomplex Texte zu eigen: In der Beschäftigung mit literarischen Texten aus dem sogenannten „Kanon“ der Weltliteratur werden die beim Leser evozierten Bilder in ein neues Medium überführt und dreidimensional an die Wände der Galerie gebracht. Einzelne Elemente, Erzählstränge oder Symbolgefüge, die etwa die gruseligen Erzählungen von Edgar Allan Poe („Der Untergang des Hauses Usher“ oder „Die Grube und das Pendel“) oder aber den Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von Heinrich Böll auszeichnen, finden sich auf kleinen Holztafeln wieder. Teilweise rasch und humvorvoll zugespitzt mit schwarzem Edding-Stift ausgeführt, teilweise häufen sich die Holzstücke zu komisch verzerrten Skulpturen, die den Raum beherrschen („Gullivers Reisen“ oder „Der Hund von Baskerville“).

533Plastisch tritt aus der Wand hervor, wie sich diese großen Erzählungen unserer Gesellschaft als Textstrukturen zusammensetzen, welche altbekannten Motive sich in der Rezeption verfestigt haben und so dem Betrachter als altbekannt entgegentreten, etwa Hamlets Totenkopf.

Auf die pointierte und reduzierte Struktur des Comicstrips und Graphic Novels rekurrierend, werden die literarischen Vorlagen in eine neue Medialität überführt und bearbeitet. Die als Ikonen inszenierten Portraits der Schriftsteller machen einen wesentlichen Impetus der beiden Künstler Neuhauser und Rieder deutlich: In der Interpretation, Umgestaltung und Auseinandersetzung mit der Tradition großer Schriftsteller möchte sich die bildende Kunst die suggestive Bildmacht der Literatur aneignen und so – gleichsam im „Dienste der Literatur“ – über die bloße Nacherzählung hinausgehend die kanonisierte Literatur neu in den Blick rücken.

Gemeinsame Phantasmagorien – bis 31. Mai in der Galerie Zwergelgarten – www.stadt-salzburg.at
Bilder: dpk-stieb